1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Hausdurchsuchung.
Die vier Hinzugekommenen waren uniformierte Polizisten. Sie wurden von den beiden, die ich schon kannte und die im Arbeitszimmer blieben, angewiesen, wie sie vorzugehen hatten. Zwei sollten das Erdgeschoß und den Keller kontrollieren, die anderen das restliche Obergeschoß und den Dachboden. Sie schwirrten los, und bald hörte ich, wie Türen geöffnet und geschlossen und Möbel bewegt wurden. Sie können sich sicher denken, wie elend mir war.«
»Entsetzlich!« sagte Kämmerer. »Sie wußten, gleich würden die beiden Männer anfangen, das Zimmer zu durchsuchen.«
Und dann sagte er noch einmal: »Entsetzlich!«
»Ja, so war’s. Sicher, ich hätte die zermürbende Prozedur abkürzen, hätte auf den Aktenschrank zeigen und sagen können. Da ist das, was Sie suchen. Aber ich schwieg, hatte wohl immer noch einen Funken Hoffnung, auch wenn die Chance, daß alle sechs Männer plötzlich tot umfallen würden, gleich Null war. Ich hielt also die zehn, zwölf Minuten durch. Während dieser Zeit hatten sie den Schreibtisch und einen Teil der Bücherregale schon hinter sich gebracht. Ja, und dann öffnete der Zivilist den Aktenschrank. Er kniete sich hin, begann unten, ganz links. Noch einmal wurden meine Nerven auf eine äußerst harte Probe gestellt, denn er machte sich an die Wahnsinnsarbeit, jede Seite wenigstens zu überfliegen, und so ein Ordner hat doch bestimmt hundertfünfzig bis zweihundert Seiten.
›Da wird man ja verrückt!‹ stöhnte er denn auch, als er den ersten Band durchgesehen hatte und den zweiten hervorzog. ›Ich helf dir‹, sagte der andere, und fast sah ich es mit Erleichterung, daß er nicht rechts, sondern in der Mitte anfing. Gleich darauf quollen ihm die Flugblätter entgegen.«
Frau Engert griff nach ihrer Kaffeetasse. Kämmerer spürte genau, das war nicht die raffiniert eingeschobene Pause, mit der man die Spannung hochtreibt, sondern es geschah wegen der großen Erregung, die sie für einen Moment unfähig machte, weiterzusprechen. Er sah auf ihre Hand, die zwar die Tasse hielt und auch zum Mund führte, aber so stark zitterte, daß die zweite ihr zu Hilfe kommen mußte.
»Sie hatten die Flugblätter also gefunden«, fuhr sie schließlich fort, »und der Zivilist las sogar laut vor: ›Liebe Landsleute, deutsche Bürgerinnen und Bürger! Ihr dürft nicht länger die Augen davor verschließen, daß die Nationalsozialisten euch hintergangen haben. Sie haben euch in den Krieg hineingetrieben, den ihr nicht gewollt habt und der nicht zu gewinnen ist …‹ Ob es wörtlich so dastand, weiß ich nicht mehr, aber sinngemäß fing der Text so an. Der Mann las ihn nicht zu Ende, sondern knüllte das Blatt zusammen und schleuderte es auf den Fußboden.
›Du Dreckstück!‹ schrie er mich an und baute sich dicht vor mir auf. ›Woher kommen diese Schandzettel?‹
Ich schwieg, und da schlug er zu, schlug mir ins Gesicht. Daß ich dann blutete, war für mich so unwichtig wie nur irgendwas, aber die folgenden Worte, die waren wichtig. Und furchtbar:
›In Ordnung, die Dame bleibt stumm. Sie weiß wohl nichts von diesem Zeugs. Also sind ihre Eltern diejenigen, die noch heute abend festgenommen und spätestens – da bin ich sicher – in drei Tagen hingerichtet werden. Das geht schnell, werte Dame! Bei einem so eindeutigen Fall von Hochverrat liegen nicht selten zwischen Verhaftung und Strang gerade mal vierundzwanzig Stunden. Warten wir also auf den Herrn Notar und seine Gattin!‹ Er wandte sich an seinen Kollegen: ›Kannst schon mal die anderen zusammenrufen. Schick sie weg! Wir brauchen sie nicht mehr.‹
Der Mann ging hinaus, und wirklich, als er nach wenigen Augenblicken zurück war, wurde es still im Haus. Plötzlich war Laura da. Es stellte sich heraus, daß die Polizisten sie gezwungen hatten, unten im Haus die Führung zu übernehmen. Nun stand sie in der Tür, tränenüberströmt, kam dann auf mich zugestürzt, fiel mir um den Hals.
Der Zivilist setzte sich an den Schreibtisch, zog das Telefon heran, nahm den Hörer ab, wählte eine Nummer. Und dann hörten Laura und ich:
›Hier Rodebeck. Habe einen Fall von Hochverrat. Rechtsanwalt und Notar Dr. Johannes …‹
›Nein!‹ schrie ich dazwischen, und dann sprang ich auf, lief zum Schreibtisch und schlug auf die Telefongabel. Das brachte mir zwar wieder einen Schlag ins Gesicht ein, aber das Gespräch war wenigstens erst mal unterbrochen. Ich taumelte zu meinem Sessel. Laura hatte sich daneben auf den Teppich gekauert. Keine
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