1Q84: Buch 1&2
sehen. Komatsu zufolge kam er nur äußerst selten »von seinem Berg herunter«.
Tengo setzte sich den beiden gegenüber und bestellte einen Kaffee. Es herrschte, obwohl noch vor der Regenzeit, hochsommerliche Hitze. Dennoch nippte Fukaeri wie schon beim letzten Mal an einer heißen Schokolade. Herr Ebisuno hatte einen Eiskaffee bestellt, aber bisher nicht angerührt. Das Eis war geschmolzen und hatte eine transparente Wasserschicht darauf gebildet.
»Schön, dass Sie gekommen sind«, sagte Professor Ebisuno.
Tengos Kaffee wurde gebracht, und er trank einen Schluck.
»Offenbar hat sich bis jetzt alles sehr günstig entwickelt«, sagte der Professor bedächtig, als würde er den Klang seiner Stimme testen. »Sie haben viel geleistet, junger Mann. Sehr viel. Dafür muss ich mich zuerst einmal bei Ihnen bedanken.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich bin ja, wie Sie wissen, in diesem Zusammenhang offiziell nicht existent.«
Ebisuno rieb seine Hände über dem Tisch, wie um sie zu wärmen.
»Nein, so bescheiden dürfen Sie aber nicht sein. Tatsächlich existieren Sie sehr wohl. Ohne Sie wäre alles bestimmt nicht so glatt gelaufen. Ihnen ist es zu verdanken, dass aus ›Die Puppe aus Luft‹ ein so ausgezeichnetes Werk geworden ist. Ein Werk, das mit seiner Tiefe und Dichte alle meine Erwartungen übertrifft. Komatsu hat wirklich einen Blick für Menschen.«
Fukaeri saß neben ihm und schlürfte ihren Kakao, wie eine kleine Katze Milch schlabbert. Sie hatte eine schlichte weiße Bluse und einen kurzen dunkelblauen Rock an und trug wie immer kein einziges Schmuckstück. Wenn sie sich vorbeugte, fiel ihr das lange offene Haar ins Gesicht.
»Das wollte ich Ihnen unbedingt persönlich sagen. Deshalb habe ich Sie hierherbemüht«, erklärte Professor Ebisuno.
»Machen Sie sich keine Gedanken. ›Die Puppe aus Luft‹ zu überarbeiten war für mich selbst ebenfalls von großer Bedeutung.«
»Ich muss Ihnen nochmals meinen Dank aussprechen.«
»Das ist wirklich nicht nötig«, sagte Tengo. »Aber dürfte ich Sie Eri betreffend etwas Persönliches fragen?«
»Natürlich. Wenn ich Ihre Frage beantworten kann.«
»Sind Sie eigentlich Eris offizieller Vormund?«
Der Professor schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wäre es gern, wenn es die Möglichkeit gäbe. Aber wie ich Ihnen bereits erzählt hatte, habe ich keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Rechtlich gesehen besitze ich keinerlei Verfügungsgewalt über sie. Ich habe Eri, als sie vor sieben Jahren zu uns kam, lediglich aufgenommen und für sie gesorgt.«
»Wäre es in diesem Fall nicht besser, Eris Existenz nicht so bekannt werden zu lassen? Könnte es nicht Schwierigkeiten geben, wenn sie so stark ins Rampenlicht rückt? Sie ist ja noch nicht volljährig.«
»Sie meinen, es könnte unangenehm werden, wenn zum Beispiel ihre Eltern jetzt Klage erheben und sie zurückverlangen würden? Dass sie sie vielleicht mit Gewalt zurückholen könnten, obwohl sie sich zu mir geflüchtet hat? So etwas in der Art?«
»Ja, Sensei. Ihr Verhalten ist mir unverständlich.«
»Ihre Zweifel sind durchaus begründet. Aber die andere Seite befindet sich in einer Lage, in der sie nicht offen agieren kann. Je stärker Eri ins Rampenlicht gerät, desto größer wäre die öffentliche Aufmerksamkeit, wenn ihr etwas geschehen würde. Und Aufmerksamkeit ist das, was die am allerwenigsten wollen.«
»Mit die «, sagte Tengo, »meinen Sie die Vorreiter, nicht wahr?«
»Genau«, sagte der Professor. »Die anerkannte Religionsgemeinschaft der Vorreiter. Ich habe in den vergangenen sieben Jahren für Eri gesorgt, und Eri selbst will weiter bei uns bleiben. Was auch immer mit ihren Eltern sein mag, sie haben sie zu mir geschickt und sich sieben Jahre lang nicht um sie gekümmert. Da kann ich doch nicht einfach sagen, ›So, das war’s.‹«
Tengo versuchte seine Gedanken zu ordnen. »Also: Das Buch wird wie erwartet ein Bestseller«, sagte er dann. »Eri gerät in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Folglich können die Vorreiter nicht mehr so leicht etwas unternehmen. Bis dahin habe ich es verstanden. Und wie soll es jetzt nach Ihrer Planung weitergehen, Sensei?«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte Professor Ebisuno unbekümmert. »Die Zukunft ist für uns alle ein unbekanntes Terrain, von dem es keine Landkarte gibt. Was uns hinter der nächsten Ecke erwartet, wissen wir erst, wenn wir abgebogen sind. Will sagen: Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
»Sie haben
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