1Q84: Buch 1&2
zugleich war er unsicher und aufgeregt. Konnte denn ein solcher Plan wie ihrer wirklich so leicht und reibungslos funktionieren?
Auf einmal verging ihm der Appetit. Obwohl er bis eben noch sehr hungrig gewesen war, hatte er nun gar keine Lust mehr, etwas zu essen. Er wickelte die fertige Mahlzeit in Folie und stellte sie in den Kühlschrank. Dann setzte er sich auf einen Küchenstuhl, trank still sein Bier und starrte dabei auf den Wandkalender, den er von seiner Bank erhalten hatte und der den Fuji zu allen vier Jahreszeiten zeigte. Tengo hatte den Fuji noch nie bestiegen. Auch auf dem Tokio Tower war er noch nie gewesen. Noch nicht einmal auf dem Dach irgendeines Hochhauses. Eigentlich hatte er gar kein Interesse an hoch gelegenen Plätzen. Er fragte sich, warum, und gab sich gleich selbst die Antwort. Vielleicht weil er sein ganzes Leben lang immer nur zu Boden geschaut hatte.
Komatsus Voraussage traf ein. Die Ausgabe der Literaturzeitschrift, in der »Die Puppe aus Luft« erstmals erschien, war bereits am Erscheinungstag in nahezu allen Buchhandlungen ausverkauft. Das hatte es fast noch nie gegeben. Der Verlag gab die Zeitschrift jeden Monat heraus, obwohl sie rote Zahlen schrieb. Ziel dieser Zeitschrift war es, mittels des Debütpreises neue junge Autoren zu entdecken und die in ihr publizierten Werke später in Buchform herauszubringen. Vom Verkauf der Zeitschrift selbst wurde kaum Umsatz erwartet. Daher war die Nachricht, die Zeitschrift sei ausverkauft, eine Sensation wie Schnee auf den Okinawa-Inseln. Was jedoch insgesamt nichts an den roten Zahlen änderte.
Komatsu rief Tengo an, um ihm davon zu berichten.
»Sehr günstig«, sagte er. »Dadurch, dass die Zeitschrift ausverkauft ist, steigt das Interesse noch mehr, alle wollen das Ding auf Teufel komm raus lesen, ganz egal was es ist. Und die Druckerei druckt, was das Zeug hält, die gebundene Ausgabe. Höchste Priorität. Es spielt keine Rolle mehr, ob sie den Akutagawa-Preis bekommt oder nicht, wichtiger ist es, das Buch zu verkaufen, solange es heiß ist. Kein Zweifel, es wird ein Bestseller. Das garantiere ich dir. Überleg dir besser schon mal, was du mit dem Geldsegen anfängst, der dich in Kürze erwartet.«
In allen Feuilletons der Abendausgaben vom Samstag erschienen Artikel über »Die Puppe aus Luft«. Dass die Zeitschrift so schnell ausverkauft gewesen war, erregte Aufsehen. Die meisten Literaturkritiker besprachen das Werk wohlwollend. Für eine Siebzehnjährige sei Fukaeris Stil unglaublich sicher, sie verfüge über eine genaue Beobachtungsgabe und überbordende Vorstellungskraft. Vielleicht sei ihr Werk ein Hinweis auf das stilistische Potential einer neuen Literatur. Nur einer schrieb: »Ihre Phantasie ist zu ausufernd, und es mangelt an Bezugspunkten zur Realität.« Das war die einzige negative Ansicht, die Tengo entdecken konnte. Aber auch dieser Rezensent schloss mit der wohlwollenden Bemerkung: »Wir erwarten mit Spannung, was diese junge Frau in nächster Zeit schreiben wird.« Der Wind schien jedenfalls im Moment günstig zu stehen.
Vier Tage vor dem geplanten Erscheinungstermin der Buchausgabe rief Fukaeri ihn an. Es war gegen neun Uhr morgens.
»Schon wach«, fragte sie, wie immer ohne jede Betonung.
»Natürlich«, sagte Tengo.
»Haben Sie heute Nachmittag Zeit.«
»Ja, aber erst nach vier.«
»Können wir uns treffen.«
»Ja«, sagte Tengo.
»Da, wo wir schon mal waren.«
»Einverstanden«, antwortete Tengo. »Also um vier in dem Café in Shinjuku. Übrigens ist das Zeitungsfoto von dir sehr gut geworden. Das von der Pressekonferenz.«
»Ich hatte diesen Pullover an«, sagte sie.
»Der steht dir wirklich gut«, erwiderte Tengo.
»Wegen dem Busen.«
»Kann sein. Aber in diesem Fall ist es viel wichtiger, dass du einen guten Eindruck auf die Leute gemacht hast.«
Fukaeri schwieg in den Hörer. Ein Schweigen, als würde sie etwas auf ein Regal in ihrer Reichweite stellen und es dann in Ruhe betrachten. Vielleicht dachte sie über den Zusammenhang zwischen ihrem Busen und dem guten Eindruck nach. Bei näherem Nachdenken verstand auch Tengo immer weniger, welche Beziehung eigentlich zwischen beidem bestand.
»Um vier«, sagte Fukaeri. Und legte auf.
Als er kurz vor vier Uhr das Café betrat, war Fukaeri schon da. Neben ihr saß Professor Ebisuno. Er trug ein hellgraues Hemd mit langen Ärmeln und eine dunkelgraue Hose. Wieder hielt er seinen Rücken kerzengerade wie eine Statue. Tengo war etwas überrascht, ihn zu
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