1Q84: Buch 3
schien er ebenfalls nicht zu sein. Seine Miene wirkte keineswegs gequält. Wenn sein Gesicht überhaupt etwas ausdrückte, so war es reines Erstaunen – als habe man ihm eine Frage gestellt, auf die es keine Antwort gab. Der Arzt zeigte sich verwundert darüber, wie gut Ushikawa doch aussah, obwohl an seiner Ermordung kein Zweifel bestand. Wahrscheinlich hatte jemand das Gesicht des Toten massiert, um ihm einen heiteren Ausdruck zu verleihen.
»Das ist das Werk eines echten Profis«, erklärte der Kahle seinem Vorgesetzten. »Er hat nicht die geringste Spur hinterlassen. Wahrscheinlich hat er sogar verhindert, dass das Opfer schreit. Mitten in der Nacht hätte man das sonst im ganzen Haus gehört. So etwas bringt kein Anfänger zustande.«
Warum musste Ushikawa von einem professionellen Killer beseitigt werden?
Der Kahle wägte seine Worte sehr vorsichtig ab. »Vielleicht war Herr Ushikawa jemandem auf der Spur. Jemandem, auf dessen Spur er nicht hätte sein sollen. Ohne zu merken, in welcher Gefahr er sich befand.«
Kann es sich dabei um dieselbe Person handeln, die den Leader getötet hat?
»Wir haben keinen Beweis dafür, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß«, sagte der Kahle. »Vermutlich wurde Herr Ushikawa gefoltert oder so etwas. Ich weiß nicht, was sie mit ihm gemacht haben, aber sie haben ihm sicher auf den Zahn gefühlt.«
Wie viel hat Ushikawa gesagt?
»Vermutlich alles, was er wusste«, sagte der Kahle. »Da bin ich ziemlich sicher. Glücklicherweise waren seine Informationen sehr begrenzt. Er konnte keinen großen Schaden anrichten.«
Der Kahle selbst verfügte nur über ein begrenztes Maß an Informationen, aber natürlich wusste er viel mehr als ein Außenstehender wie Ushikawa.
Ein Profi also. Willst du damit sagen, dass ein Gangstersyndikat an der Sache beteiligt ist?, fragte sein Vorgesetzter.
»Das ist nicht die Handschrift der Yakuza oder eines Syndikats«, antwortete der Kahle und schüttelte den Kopf. »Bei denen fließt mehr Blut, und sie gehen nicht so raffiniert zu Werke. Herrn Ushikawas Mörder hat uns eine Botschaft hinterlassen: Wir arbeiten auf höchstem Niveau, und wer seine Nase in unsere Angelegenheit steckt, muss mit Konsequenzen rechnen. Im Klartext: Lasst die Finger von der Sache.«
Von welcher Sache?
Der Kahle schüttelte wieder den Kopf. »Konkret kann ich Ihnen das auch nicht sagen. Herr Ushikawa hat auf eigene Faust dort observiert. Wir hatten ihn mehrfach aufgefordert, Zwischenberichte zu erstatten, aber er hat sich immer damit herausgeredet, dass seine Informationen nicht vollständig und seine Ergebnisse damit noch nicht spruchreif seien. Offenbar wollte er die Sache allein aufklären. Deshalb hat man ihn jetzt auch mitsamt seinen Informationen aus dem Weg geräumt. Er hatte ja alles für sich behalten. Ursprünglich war es der Leader, der Herrn Ushikawa bei uns eingeführt hat, und eigentlich hat er immer unabhängig als eine Art Sonderagent gearbeitet. Er passte in keine Organisation. Da er mir nicht direkt unterstand, war ich nicht in der Lage, ihn zu kontrollieren.«
Der Kahle wollte sicherheitshalber klarstellen, wie weit seine Verantwortung reichte. Die Sekte war streng hierarchisch organisiert. Alle Organisationen haben Regeln, und Regeln bringen Verstöße mit sich. Er würde nicht zulassen, dass sie ihm die gesamte Verantwortung für dieses Fiasko in die Schuhe schoben.
Wen hat Ushikawa in dem Gebäude beobachtet?
»Das wissen wir noch nicht. Aller Logik nach müsste es jemand gewesen sein, der entweder in diesem Haus oder in der Umgebung wohnt. Die Leute, die ich in Tokio gelassen habe, stellen gegenwärtig Nachforschungen an, aber sie haben noch nicht berichtet. Anscheinend dauert es, das herauszufinden. Wahrscheinlich sollte ich lieber selbst nach Tokio fahren und die Untersuchung leiten.«
Der Kahle schätzte die Fähigkeiten seiner in Tokio zurückgebliebenen Männer nicht sonderlich hoch ein. Sie waren zwar loyal, aber viel mehr war mit ihnen nicht los. Außerdem hatte er sie noch nicht ausführlich über die Situation unterrichtet. Er selbst könnte das alles viel effizienter erledigen. So wäre es zum Beispiel ratsam, auch Ushikawas Büro zu durchsuchen, obwohl der Mann am Telefon ihnen sicher schon zuvorgekommen war. Aber der Vorgesetzte gab ihm nicht die Erlaubnis, nach Tokio zu fahren. Bis die Umstände klarer waren, hatten er und der Pferdeschwanz im Hauptquartier zu bleiben. So lautete der Befehl.
Könnte Ushikawa nicht vielleicht
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