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Transatlantikflüge für diesen Monat durchsucht. Delta Airlines 079, Ankunft 15.30 Uhr. Keine besonderen Anmerkungen der Einwanderungsbehörde, also müsste er ungefähr eine Stunde nach der Landung die Kontrollen passieren. Dort will sie ihn abfangen.
In Mumbai haben sie einen Abend miteinander verbracht. Sie haben geredet, getrunken und getanzt, dann hat sie ihn in ihr Hotel mitgenommen. Am nächsten Morgen musste er zurück nach Berlin, eigentlich wollte sie ihn dort schon längst besucht haben. Doch die Zeit verging schnell, Berlin war plötzlich sehr weit weg. Wenn das Schicksal ihn jetzt nach New York spülte, würden die Dinge schon ihren Lauf nehmen.
Fünfundvierzig Minuten ruckelt der A-Train durch das Hinterland von Brooklyn und Queens, wo New York nicht so spektakulär ist wie in Manhattan. Um kurz nach vier trifft Syana am Ausgang hinter der Gepäckausgabe ein und postiert sich so, dass sie die herausströmenden Passagiere gut im Blick hat.
Über Neufundland reißt die Wolkendecke auf. St.-Lorenz-Strom, dann entlang der Küste gen Südwesten. Sinkflug. Die Spitze von Montauk erscheint vor dem Fenster, die Strände von Long Beach und die Häuser von Inwood, schließlich der John-F.-Kennedy-Flughafen. Mit einem Ruck setzt das Flugzeug auf. Die Bremsklappen schnellen nach oben, die Reifen quietschen. Langsam rollt die Boeing auf das Terminal zu.
Mikael ist müde. An der Immigration muss er ein paar Fragen über sich und den geplanten Aufenthalt in New York beantworten. Weil er ein Einladungsschreiben der Triangle Arts Association hat, des Partners des Berliner Stipendienprogramms, geht es recht schnell. Er nimmt seinen großen silbernen Koffer mit dem Aufnahmeequipment und den Rucksack mit Klamotten und Büchern vom Gepäckband. Seinen Rechner hat er im Handgepäck. Am Zoll vorbei, durch die letzte Tür. Endlich angekommen. Er sucht nach dem Wegweiser zum Taxistand, kuckt sich in der Empfangshalle um. Sein Blick bleibt an einer Frau hängen. Vielleicht 1,70 groß, schwarze Haare, schwarze Bluse.
»Syana!«, ruft Mikael. Der Begrüßungskuss rutscht von der Wange auf die Lippen.
Halbtotale. Ein Fahrstuhl, verrostetes Metall, stellenweise dunkelroter Schutzlack. Lautes Rumpeln. Syana und Mikael. Vorne sie, Rückenansicht, dahinter, verdeckt, er (1,80, halblange, hellbraune Haare, gewellt, blaue Jeans, weißes T-Shirt). Großaufnahme. Beide stehen ineinander verschlungen in der Ecke und küssen sich.
Kamera schwenkt nach unten. Seine Hand in ihrer Hose.
Blende.
Totale. Nichtsanierte Fabriketage. Durch eine großflächige Industrieverglasung Blick auf die Williamsburg Bridge und die Skyline von Manhattan. Wolkenloser Himmel. Einige der Scheiben sind gesprungen und mit Klebeband geflickt, andere durch Acrylpaneele ersetzt.
Eine große Matratze auf dem Boden, weißes Bettzeug. Mikael liegt auf dem Rücken, nackter Oberkörper, die Jeans bis zu den Knien heruntergezogen. Auf ihm sitzend Syana, nackt.
Nahaufnahme. Syanas Oberkörper von hinten, rhythmische Bewegungen.
Geräuschkulisse: raschelnder Stoff, schabende Haut. Atem, schneller werdend.
Lange Einstellung.
Dann ein kurzes, kräftiges Zucken, Syana sinkt auf Mikael.
Gleicher Bildausschnitt, die Kamera fokussiert die Wand am Kopfende der Matratze. Abblätternder Putz, weiß-graues Ziegelmauerwerk. Die Atemgeräusche werden regelmäßiger, langsamer.
Blende.
Als Mikael aufwacht, ist es draußen noch dunkel. Er hat Kopfschmerzen, der Wecker zeigt 5.00 Uhr. Jetlag. Syana liegt neben ihm und schläft. Er betrachtet ihren nackten Körper.
Vom Flughafen sind sie mit dem Taxi direkt zu ihr nach Hause gefahren. Erst die Nummer im Fahrstuhl, dann in ein indisches Restaurant, später von einer Bar zur nächsten. Tanzen vor den spiegelnden Wasserflächen im Public Assembly. Danach wieder zu ihr.
Syana wohnt in einem alten Warehouse in der Kent Avenue, in der Nähe der ehemaligen Navy Yards. Eine Gruppe von Künstlern hat das Gebäude vor fünfzehn Jahren besetzt und mit einfachen Mitteln umgebaut. Hier ist Brooklyn noch heruntergekommen, auch wenn einige der alten Lagerhäuser inzwischen aufwendig renoviert und teuer vermietet wurden. Syanas Studio befindet sich im 12. Stock, von den fünf anderen Einheiten auf der Etage ist es nur durch einfache Gipskartonwände getrennt. Dafür ist der Ausblick wirklich grandios.
Die Matratze liegt in der Mitte des Raums, einzige Dekoration sind farbig bestickte seidene Kissen, die auf dem Boden liegen.
Eine kleine
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