1WTC
Kochnische, mit etwas Abstand zum Herd eine Kompaktdusche, in einem Verschlag die Toilette. Neben der Fensterwand das Bücherregal, davor indische Korbflechtstühle und ein Lounge Chair von Charles Eames, dunkles Nussholz, abgewetztes, schwarzes Leder. Der Fensterfront gegenüber, neben der Eingangstür, stehen zwei alte Videospielautomaten. Metallregale, voll mit elektronischen Geräten: auseinandermontierte Roboter, Spielzeug-Elektronik, alte Rechner und Konsolen. Atari, Commodore, Gameboy, Nintendo, Playstation. Ein Lesegerät für Barcodes und ein Videoscanner. Floppy Disks. Zips. Bandlaufwerke. Kassettenrecorder. Kameras. Monitore. VHS- und Super-Beta-Player. Ein 16-mm-Projektor.
Festplatten, Platinen, mehrere Funkgeräte.
Im ganzen Raum sind Kleidungsstücke verteilt. An den Fenstergriffen hängen feingliedrige Goldketten, vielleicht aus ihrer Heimat, silberne Armreifen und billiger Modeschmuck mit bunten Perlen.
Syana bewegt sich, schiebt ihr Bein über seines, sucht eine neue Liegeposition. Mikael streichelt ihr über die Schulterblätter, lässt seine Finger ihren Rücken hinuntergleiten und schiebt die Decke ein Stück nach unten. Syana hebt ihre Hüfte, mit dem Knie drückt er ihre Oberschenkel auseinander.
Zwei Stunden später sitzen die beiden in einem Café in der Bedford Avenue. Bagel mit Lachs und Rührei. Mikael schlingt das letzte Stückchen Lachs hinunter.
»Ich hab heute frei, muss erst morgen wieder unterrichten. Machen wir Sightseeing?«
»Logisch, gerne. Ich will unbedingt zu Ground Zero.«
Die Brooklyn Bridge, mächtige Pfeiler ragen aus dem Häusermeer hervor, Syana zeigt Mikael die Aufgänge für die Fußgänger.
»Wozu hast du eigentlich das ganze Elektrozeugs in deiner Wohnung?«
Syana denkt nach. Besser zu wenig erzählen als zu viel.
»Die Sachen brauch ich manchmal in der Uni. Wenn man den Studenten hin und wieder alte Spiele zeigt, verstehen sie, auf welchen Prinzipien so was aufbaut. Das sind sozusagen die angewandten Grundlagen des Gamedesigns. Daraus entstehen dann neue Projekte. Vor ein paar Jahren haben wir Pac-Manhattan entwickelt, Pac Man für draußen – die Straßen am Union Square sind schließlich auch so eine Art Labyrinth. Die Spieler sitzen nicht mehr vor einem Automaten, sondern laufen durch die Stadt, gesteuert über Telefon. War eine sehr lustige Aktion.«
Mikael und Syana nehmen eine der Treppen nach oben zur Brooklyn Bridge Promenade, dem Fußgängerweg über der Autotrasse. Es ist sonnig, der Blick öffnet sich zur Upper Bay. In der Ferne kann man die Freiheitsstatue sehen.
Freiheitsstatue. Geschenk der französischen Regierung an die USA zum 100. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Sockel aus deutschem Zement, Eisenkonstruktion von Gustave Eiffel. Mit zehn Jahren Verspätung 1886 vollendet. Der für den Bau verwendete weiße Zement stammt von der Firma Dyckerhoff. Heutiger Firmensitz: Wiesbaden.
Sie sind jetzt mitten über dem East River, die Steigung der Promenade nimmt ab. Neben den Touristen sind Radfahrer in Business-Anzügen unterwegs.
»Was hast du denn jetzt eigentlich vor in New York?«
»Ich will mir die Stadt erst einmal genau ansehen. Sicherheit, Überwachung und so. Ich will zu den Orten gehen, an denen Kameras aufgestellt wurden. Dann will ich mir ankucken, worauf sie gerichtet sind. Ja, auch im Konflikt mit den Sicherheitsleuten. Ich such da nach einer neuen Art der Annäherung … irgendwie subjektiver …«
»Aha. Subjektive Annäherung? Und das war’s dann, oder was?« Syana lacht. »Okay, sehen wir uns ein paar Orte mit besonders hoher Kameradichte an. Kannst dich ja mal ›annähern‹ und ein paar Fotos machen.«
Zwischen den Hochhäusern tut sich Ground Zero auf.
Ground Zero. Militärischer Begriff für die Stelle, an der eine Bombe explodiert. Seit dem Manhattan Project, in dem ab 1942 unter der Leitung von J. Robert Oppenheimer an der Entwicklung der ersten Atombombe gearbeitet wurde, wird der Begriff für großflächig wirksame, nukleare Explosionen verwendet, vor allem in Zusammenhang mit Hiroshima und Nagasaki: Ground Zero Hiroshima, Ground Zero Nagasaki.
2001 kehrt der Begriff Ground Zero nach Manhattan zurück, an die Stelle der zwei Städte treten zwei Hochhäuser. Seit dem 11. September ist der Begriff ein Synonym für den Ort, an dem sich einst das World Trade Center befand.
Schon zwei Tage nach der Zerstörung verspricht Rudolph Giuliani, der Bürgermeister von New York, die Skyline
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