2 Die Connor Boys: Lieb mich hier und jetzt
Geist zuzuordnen, aber sie wusste sehr wohl, dass es nichts als das Echo ihres eigenen Herzens war . Denn genau das dachte sie über Seth - dass er einsam war und jemanden brauchte. Weder Zauberei noch
Geistergeflüster spielten eine Rolle, es war einfach ihre tiefe Überzeugung, dass Seth ebenso verletzt worden war wie sie. Als er sie küsste, war sein Hunger nach Zärtlichkeit deutlich zu spüren gewesen, und Samantha hatte ihm in gleicher Weise geantwortet.
Oder bildete sie sich nur ein, dass er wie sie fühlte? Himmel, sie war so verwirrt. Vielleicht war die ganze Wahrheit nur, dass ihr Hormonhaushalt durcheinander geraten war und ihr Gewissen jetzt die Art und Weise rechtfertigen wollte, wie sie sich ihm aufgedrängt hatte. Womöglich empfand er nicht das geringste für sie, und sie hatte sich völlig vor ihm zum Narren gemacht. Eins war jedenfalls sicher: Bevor sie nicht genau wusste, wie es zwischen ihr und Seth stand, konnte sie gut auf weitere Stimmen verzichten.
Sie schloss wieder die Augen und versuchte sich zu konzentrie ren.
„Ich möchte, dass du dir einmal vorstellst, wie es wäre, wenn du ihn neben d ir im Bett hättest, Mädelchen. Wenn du heute träumst, sollst du von ihm träumen, wie er und du nackt auf der Matratze liegen, du gefangen unter ihm, er auf dir, und er nimmt dich in Be sitz wie ein Pirat einen Schatz, und dein Atem kommt schwer, und du..."
Das reichte. Mit klopfendem Herzen blickte sie im Zimmer umher. Die Atemübungen waren vergessen. Sie sprang hoch, stieß sich den Zeh am Nachttisch, humpelte zur Tür und riss sie auf.
Der Flur war stockfinster. Kein Licht war unter Seths Tür zu sehen. Vorhin noch waren im Haus überall Geräusche von knarrenden Dielen und vom Heulen des Windes zu hören gewesen. Jetzt herrschte Grabesstille. Kein Laut, keine Stimme. „Jezzie?" flüsterte sie. „Jezebel?"
Ein riesiger, schwarzer Schatten erhob sich. Jezebel kam leise herbeigetapst und wedelte begeistert mit dem Schwanz.
„Jezzie?" flüsterte Samantha. „Würdest du bitte bei mir schlafen, Baby?"
Als Samantha am nächsten Morgen in die Küche herunterkam, fand sie Seth bereits vor. Schwacher Sonnenschein drang durch die Vorhänge und fiel auf den Fußboden. Verschiedene Werkzeuge bedeckten den Tisch. Der Duft von frischgebrühtem Kaffee hing in der Luft, aber Seth trank keinen Kaffee, und er arbeitete auch nicht. Er saß auf dem Boden, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und starrte eine Küchenschranktür an.
Samantha zögerte. Sie war nicht sicher, was sie sagen sollte, da sie nicht wusste, wie Seths Stimmung nach dem Vorfall gestern abend war. Schließlich entschloss sie sich für ein einfaches „Guten Morgen".
„Morgen." Er wandte sich nicht um. „Samantha, warst heute Nacht in der Küche?"
Mit dieser Frage hatte sie bestimmt nicht gerechnet. „Nein. Wie so?"
„Bist du sicher?"
„Natürlich bin ich sicher. Was ist denn das Problem?"
„Sägemehl", sagte er. „Sägemehl ist das Problem."
Samantha holte sich eine Tasse und schenkte Kaffee ein. Kaffee war sonst nicht ihr Fall, sie trank lieber Tee, aber im Augenblick schien sie ein wenig Koffein dringend nötig zu haben. Sicher war sie etwas verschlafen und konnte deswegen bisher keinen Sinn in diesem Gespräch finden.
Sie nahm ein paar Schluck und hockte sich dann neben Seth. Seine Jeans hatten einen Riss über dem Knie. Sein blaues T-Shirt spannte sich über seinen muskulösen Armen, und die Sonne fing sich in seinem Haar. Er war unrasiert. Die feinen Bartstoppeln und sein zerzaustes Haar gaben ihm ein etwas verwegenes Aussehen. Er strahlte mehr Männlichkeit aus als jeder Mann, den sie kannte, und ihr Körper reagierte sofort darauf. Aber Seth schien die Spannung, die zwischen ihnen lag, nicht zu bemerken. Wenn er sich an den leidenschaftlichen Kuss von gestern abend erinnerte, dann ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Nach einem nur kurzen Blick auf ihr frisch gewaschenes Gesicht und das ordentlich gekämmte Haar wandte er sich sofort wieder der dünnen Schicht Sägemehl unter der Schranktür zu.
„Ich frage mich", begann sie vorsichtig, „warum dieses Säge mehl dich so fasziniert."
„Weil es nicht das ein kann. Darum."
„Aha."
„Wir haben gestern doch die alte Farbe abgespachtelt. Im allgemeinen geht man so vor: Man löst die Farbe ab, dann schmirgelt man das nackte Holz, und dann ölt man es ein, beizt oder lackiert es neu, je nachdem, was am besten für das jeweilige Holz passt. Aber verdammt
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