2 Die Connor Boys: Lieb mich hier und jetzt
bloß hingebracht habe. Als er keine feine Tischwäsche sah und keine Kellner im Smoking, entspannte er sich etwas.
„Colorado? Ich denke, du stammst aus Atlanta?"
Seth bestellte eine Flasche dunkles Bier. Nach einigen Schlucken entspannte er sich noch mehr. „Ich bin vor etwa zehn Jahren nach Atlanta gezogen. Zu der Zeit gab es dort sehr viel Arbeit für einen guten Zimmermann. Der Boom von damals hat sich zwar längst gelegt, und eine Menge Leute im Baugeschäft mussten aufgeben, aber ich bin dabeigeblieben und habe mich sogar erweitert. Es arbeiten vier Männer für mich, und es läuft ganz gut."
„Du hast zwei Brüder, nicht wahr?" Samantha nahm sich ein heißes Brötchen aus dem Korb und strich Butter darauf. „Leben die immer noch in Colorado?"
„Nein. Wir sind über das ganze Land verstreut. Gordon, der jüngste von uns, lebt in Los Angeles. Er hat kurz nach Weihnachten geheiratet, und ein Baby ist schon unterwegs. Er ist ein besonders guter Saxophonspieler. Und Michael - er ist drei Jahre älter als ich - ist vor Jahren nach Michigan gezogen und besitzt dort einige Anwesen. Er ist zum Geschäftsmann geboren. Man muss ihm nur etwas Geld in die Hand geben, und ehe man sich's versieht, hat er es schon verdoppelt. Ich bin der einzige, der sich mit etwas Ge wöhnlichem zufrieden gegeben hat."
Samantha sah nachdenklich auf. „Magst du deine Arbeit nicht?"
„Doch, natürlich, aber es ist reine Körperarbeit und nicht mit dem zu vergleichen, was meine Brüder erreicht haben."
Samantha wollte das abstreiten - es klang fast so, als ob er sich herabsetzte -, aber es war das erste Mal, dass er über seine Familie sprach. Der Stolz und die Liebe, die er für seine Brüder empfand, war überdeutlich. Ihr fiel auf, dass er bis jetzt noch kein w eibliches Mitglied der Familie erwähnt hatte. „Gibt es keine Frauen bei euch?"
Er lächelte spöttisch. „Nein. Wir Connors sind nicht gerade für unser Glück in der Liebe bekannt. Ich erinnere mich nicht, dass ir gendeine es bei uns für längere Zeit ausgehalten hätte. Mein Großvater, derjenige, der uns das Haus hier vermacht hat, hat dreimal geheiratet und sich scheiden lassen. Meinem Vater erging es nicht besser. Meine Mutter verließ uns wegen eines anderen, als ich ge rade vier war. Mein Vater hat uns allein aufgezogen."
„Kein Wunder, dass ihr mit Dosenfleisch und Spaghetti aufge wachsen seid", sagte Samantha.
„Wir sind sicher völlig verschieden von deiner Familie, da möchte ich wetten."
Plötzlich erkannte Samantha, warum Seth so offen über sich und seinen Familienhintergrund plauderte. Er wollte ihr damit zu verstehen geben, wie wenig sie
gemeinsam hatten. Sicher würde sie es sich jetzt zweimal überlegen, bevor sie sich für einen schlichten Zimmermann interessierte, der ohne den sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren worden war.
Als die Kellnerin mit dem Hummer kam, machte Samantha sich sofort ans Essen, aber in Gedanken war sie bei dem, was Seth ihr erzählt hatte. Sie stellte sich den kleinen, mutterlosen Jungen vor, der in einer Familie aufwuc hs, in der die Frauen entweder betrogen oder davonliefen. Es war kein Wunder, dass er auf eine Jezebel getroffen war, denn sein Urteilsvermögen war von seiner Vergangenheit geprägt.
Ihr Hintergrund war verschieden, aber nicht in allem. Je mehr Samantha über Seth erfuhr, desto mehr begriff sie, warum sie sich gleich so zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Ihre Erfahrung mit dem anderen Geschlecht hatte sie misstrauisch gemacht, genau wie ihn. Und sie wusste auch, wie es war, sich als das schwarze Schaf der Fam ilie zu fühlen, als etwas „Gewöhnliches" im Vergleich zu den übertalentierten Geschwistern.
„Ich bitte die Kellnerin, dir etwas zu trinken zu bringen, wenn du Durst hast." Seth folgte Samanthas Beispiel, knackte die Schale des Hummers und holte mit einer kleinen Gabel das Fleisch heraus. Er war offensichtlich besorgt um richtige Tischmanieren, obwohl Samantha ihm versichert hatte, dass das hier keine Rolle spiele. Plötzlich hielt er inne und starrte Samantha an.
„Was ist los?" fragte sie.
„Nichts." Er leerte sein Bierglas, bevor er weiteraß, und dann ließ er die Gabel wieder sinken, um Samantha anzusehen.
Sie liebte Hummer. Im Grunde liebte sie jede Art von Essen, und ihr ganz besonderer Stoffwechsel verlangte, dass sie viel davon zu sich nahm. Aber das E ssen von Hummern war unwiderlegbar eine sinnliche Erfahrung. Samantha nahm ein großes Stück Fleisch auf
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