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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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würde ich nie tun.
    Und meiner Mutter würde ich es auch nicht erlauben!
    Im Hauseingang war niemand, doch selbst wenn, hätte mich das nicht von meinem Plan abgebracht. Ich drehte mich zur Tür zurück und sah sie auf eine besondere Art an, indem ich die Augen leicht zusammenkniff. Damit ich meinen Schatten ausmachen konnte.
    Meinen wirklichen Schatten. Den, der im Zwielicht entsteht.
    Das sieht aus, als verdichte sich die Finsternis vor dir. Bis sie völlig undurchdringlich ist, bis sie ein Schwarz annimmt, das eine Sternenlose Nacht wie Tag wirken lässt.
    Vor dem Hintergrund dieser Dunkelheit hebt sich zitternd eine gräuliche, aufwölkende, weder räumliche noch flache Silhouette ab. Eine Silhouette wie aus dreckiger Watte geschnitten. Oder umgekehrt: Wie wenn man das große Dunkel zerschnitten und in ihm eine Tür ins Zwielicht offen gelassen hätte.
    Ich machte einen Schritt und trat auf den Schatten, der an mir hochhuschte, meinen Körper einnahm. Und die Welt veränderte sich.
    Die Farben verblassten fast völlig. Alles erstarrte in einem grauen, verwaschenen Dunst, wie man es kennt, wenn der Fernseher auf ein Minimum an Farbe und Kontrast eingestellt ist. Die Geräusche dehnten sich, und es senkte sich Stille herab, die nur noch ein kaum wahrnehmbares Brummen durchließ, so leise wie das Rauschen eines fernen Meeres.
    Ich war ins Zwielicht eingetreten.
    Und sah, wie in der Wohnung die Empörung meiner Mutter loderte. Zitronengelb, eine saure Farbe, vermischt mit Selbstmitleid und grellgrünem Groll auf meinen Vater, der mal wieder zu spät zur Garage aufgebrochen war, um am Auto herum-zubasteln.
    Dann bildete sich über meiner Mutter langsam ein schwarzer Wirbelwind heraus. Ein gut gezielter Fluch, wenn auch noch etwas schwach, à la »Verblöden sollst du auf deiner Arbeit, du undankbares Biest!«, doch immerhin der Fluch einer Mutter. Was ihn besonders effektiv und langlebig machte.
    Das lassen wir mal schön bleiben, Mamotschka!
    Papa verdankt deinen Bemühungen den ersten Herzinfarkt mit siebenunddreißig und ist vor drei Jahren einem zweiten nur knapp entkommen - wobei ich für seine Rettung einen Preis zahlen musste, an den ich mich lieber nicht erinnern möchte. Hast du es jetzt auch auf mich abgesehen?
    Ich reckte mich mit einer solchen Kraft im Zwielicht, dass es in den Schulterblättern schmerzhaft zog. Packte Mamas Bewusstsein, das krampfhaft zuckte und dann erstarrte.
    Gut... machen wir es so ...
    Mir brach der Schweiß aus, obwohl es im Zwielicht immer kalt ist. Ich gab meine Kraft her, die ich für die Arbeit gebraucht hätte. Dafür erinnerte sich meine Mutter schon im nächsten Moment nicht mehr daran, was sie mir gesagt hatte. Überhaupt war sie rundum zufrieden, dass ich solch ein Arbeitstier war, dass man mich auf der Arbeit schätzte und mochte, dass ich in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus ging und erst nach Mitternacht wiederkam.
    Gut.
    Wahrscheinlich würde die Wirkung nicht lange anhalten, denn ich hatte nicht zu tief ins Bewusstsein meiner Mutter eindringen wollen. Doch ein paar Monate in Ruhe und Frieden dürften mir sicher sein. Und meinem Vater auch, denn ich bin ein Vaterkind und liebe ihn viel stärker als meine Mutter. Nur Kinder haben Schwierigkeiten zu entscheiden, wen sie mehr lieben, Mama oder Papa, Erwachsene haben damit kein Problem.
    Zum Schluss knickte ich den halbfertigen schwarzen Wirbel ab - er drang durch die Wand, auf der Suche nach jemandem, an den er sich anheften konnte. Dann atmete ich tief durch. Mit einem kritischen Blick betrachtete ich den Hauseingang.
    Ich hatte hier schon lange nicht mehr sauber gemacht. Das blaue Moos wucherte bereits wieder, an unserer Tür übrigens am stärksten. Kein Wunder, so hysterisch wie meine Mutter sich aufführte, fand es immer was zu futtern. Als ich noch ein kleines Mädchen war, habe ich gedacht, die Lichten würden das Moos züchten, um uns zu ärgern. Später habe ich dann erfahren, dass das blaue Moos ein eingeborener Bewohner des Zwielichts ist, ein Parasit, der menschliche Gefühle frisst.
    »Eis!«, befahl ich und riss den Arm hoch. Die Kälte konzentrierte sich gehorsam um meine Finger herum, um dann wie eine feste Bürste über die Wände zu kratzen. Die gefrorenen nadelartigen Blättchen des Mooses rieselten auf den Boden und zerfielen im Nu zu Staub.
    Richtig so!
    Hier bekommst du es mit etwas anderm zu tun, als mit den Gedanken der Menschen, von denen du dich sonst ernährst!
    Das hier ist echte Kraft - die

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