2 - Wächter des Tages
peitschte mir ins Gesicht. Wenigstens eine gewisse Erleichterung.
»Mit der Metro wären Sie schneller da«, gab der Fahrer ehrlich zu bedenken.
»Die mag ich nicht.«
Der Fahrer nickte. Er gefiel mir, glotzte nicht zu sehr - obwohl ich es mit dem »Parandscha« vermutlich etwas übertrieben hatte. Das Auto war gepflegt. Außerdem hatte er schöne Hände. Kräftige Hände, die locker, aber sicher auf dem Lenkrad ruhten.
Schade, dass ich keine Zeit hatte.
»Kommen Sie zu spät zur Arbeit?«, erkundigte sich der Fahrer. Er siezte mich, aber auf eine sehr persönliche, intime Ob ich ihm meine Telefonnummer geben sollte? Inzwischen bin ich eine freie Frau, kann machen, was mir gefällt.
»Ja.«
»Und was machen so schöne Frauen wie Sie?« Das war kein Versuch, mich anzubaggern oder mir ein Kompliment zu machen, sondern eher echte Neugier.
»Was die andern machen, weiß ich nicht. Aber ich arbeite als Hexe.«
Er lachte.
»Eine Arbeit wie jede andre ...« Ich holte meine Zigaretten und das Feuerzeug heraus. Da mich der Fahrer kurz mit einem missbilligenden Blick ansah, fragte ich gar nicht erst um Erlaubnis. Sondern zündete mir gleich eine an.
»Und was hat eine Hexe so für Aufgaben?«
Wir bogen in die Russakowskaja, und der Fahrer gab Gas. Vielleicht kam ich doch noch pünktlich?
»Kommt ganz drauf an«, meinte ich ausweichend. »Vor allem bieten wir den Kräften des Lichts paroli.«
Der Fahrer nahm offenbar als Spiel, was alles andre als ein Spiel war.
»Du stehst also auf der Seite der Finsternis?«
»Des Dunkels.«
»Das ist stark. Ich kenne auch eine Hexe. Meine Schwiegermutter.« Der Fahrer lachte. »Aber sie ist Gott sei Dank schon in Rente. Und was hast du gegen die Kräfte des Lichts?«
Heimlich überprüfte ich seine Aura. Nein, alles in Ordnung - er war ein Mensch.
»Sie stören. Sagen Sie doch mal, was ist für Sie das Wichtigste im Leben?«
Der Fahrer dachte kurz nach. »Das Leben. Und das mich niemand stört zu leben.«
»Ganz genau«, stimmte ich ihm zu. »Jeder möchte frei sein, oder etwa nicht?«
Er nickte.
»Und wir, die Hexen, kämpfen für diese Freiheit. Für das Recht eines jeden, das zu tun, was er möchte.«
»Und wenn ein Mensch etwas Böses möchte?«
»Das ist sein Recht.«
»Aber wenn er dabei das Recht andrer Menschen verletzt? Sonst könnte ich ja jetzt einfach jemanden über den Haufen fahren und sein Recht verletzen.«
Mich amüsierte das. Wir führten hier die fast klassische Diskussion zum Thema »Was ist das Licht und was ist das Dunkel«. Und sowohl wir, die Dunklen, wie auch diejenigen, die sich selbst die Lichten nennen, unterziehen die Novizen diesbezüglich einer Gehirnwäsche.
»Wenn jemand versucht, deine Rechte zu verletzen, hindere ihn daran. Das ist dein Recht.«
»Alles klar. Das Gesetz des Dschungels. Das Recht des Stärkeren.«
»Stärker, schlauer, weitblickender. Und das ist keineswegs das Gesetz des Dschungels, sondern das Gesetz des Lebens. Oder sehen Sie da wirklich einen Unterschied?«
Der Fahrer dachte kurz nach und schüttelte den Kopf.
»Nein, seh ich nicht. Das heißt, ich hätte jetzt das Recht, irgendwohin zu fahren, mich auf Sie zu stürzen und Sie zu vergewaltigen?«
»Sind Sie sicher, dass Sie stärker sind als ich?«, fragte ich.
Wir hielten gerade an einer Kreuzung, und der Fahrer sah mich aufmerksam an. »Nein...«, meinte er kopfschüttelnd. »Da bin ich mir nicht sicher. Aber wenn ich nicht über Frauen herfalle, so doch nicht deshalb, weil sie sich wehren könnten!«
Er wurde leicht nervös. Obwohl wir anscheinend nur herumsponnen, spürte er, dass mehr dahinter steckte.
»Deshalb und weil Sie im Gefängnis landen könnten«, sagte ich. »Das ist alles.«
»Nein«, widersprach er fest.
»Doch.« Ich lächelte. »Genau deshalb. Sie sind doch ein normaler, gesunder Mann, und Ihre Reaktionen sind völlig adäquat. Aber es gibt ein Gesetz, und deshalb ziehen Sie es vor, nicht über Frauen herzufallen, sondern sie erst zu umgarnen.«
»Eine Hexe ...«, brummelte der Fahrer mit einem schiefen Lächeln. Dann drückte er das Gaspedal durch.
»Genau«, bestätigte ich. »Denn ich sage die Wahrheit und verrenk mir nicht die Seele. Jeder möchte in Freiheit leben. Das tun, was ihm gefällt. Immer gelingt das natürlich nicht, denn jeder hat seine eigenen Wünsche, aber trotzdem versucht jeder genau das. Aus diesen Konflikten heraus entsteht dann auch die Freiheit! Eine harmonische Gesellschaft, in der jeder alles bekommen
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