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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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eine Kräuterfrau«, meinte Dascha, während sie aufmerksam darüber wachte, ob Natascha sich die Latschen anzog. »Das habe ich von meiner Großmutter. Und von meiner Mutter. Die waren alle Kräuterfrauen und haben alle den Menschen geholfen. Das liegt bei uns in der Familie ... Gehen wir in die Küche, Natascha, die andern Zimmer sind nicht aufgeräumt...«
    Während Natascha sich innerlich ein weiteres Mal selbst verwünschte, folgte sie Dascha. Die Küche entsprach genau ihren Erwartungen. Ein Berg von schmutzigem Geschirr im Spülbecken, ein verdreckter Tisch, von dem bei ihrem Erscheinen eine Kakerlake träge herunterkroch und unter der Tischplatte verschwand. Klebriger Fußboden. Die Fenster warteten natürlich noch auf den Frühjahrsputz, die Lampe starrte vor Fliegendreck.
    »Setzt dich!« Mit einer geschickten Bewegung zog Dascha einen Hocker unterm Tisch hervor, den sie an einen Ehrenplatz schob - zwischen dem Tisch und dem Kühlschrank, einem krampfhaft zuckenden »Saratow«.
    »Danke, aber ich bleib lieber stehen.« Natascha wollte sich auf gar keinen Fall hinsetzen. Der Hocker flößte ihr noch weniger Vertrauen ein als der Tisch oder der Fußboden. »Dascha ... Darja?«
    »Darja.«
    »Darja, ich wollte eigentlich nur erfahren...«
    Die Frau zuckte mit den Schultern. Drückte auf den Knopf des elektrischen Teekessels, womöglich des einzigen Gegenstandes in dieser Küche, der nicht aussah, als stamme er aus einem Müllhaufen. Sie sah Natascha an. »Wirklich? Was willst du denn noch erfahren, meine Liebe? Es ist doch alles klar zu erkennen, liegt ganz offen da...«
    Einen Moment lang hatte Natascha den unerklärlichen, quälenden Eindruck, in der Küche sei nicht genug Licht. Alles wurde grau, das krankhafte Gemurre des Kühlschranks verstummte ebenso wie der Lärm der Autos, der vom nahen Prospekt herüberdrang. Sie strich sich über die Stirn, die mit eisigem Schweiß überzogen war. Das kam alles von der Hitze. Der Sommer, die Hitze, die lange Fahrt in der Metro, das Gedränge im Oberleitungsbus ... Warum hatte sie auch kein Taxi genommen? Ihren Fahrer hatte sie mit dem Wagen fortgeschickt - gut, es wäre ihr peinlich gewesen, auch nur anzudeuten, wohin sie wollte. Und warum. Aber weshalb hatte sie kein Taxi genommen?
    »Dein Mann hat dich verlassen, Nataschenka«, sagte Darja zärtlich. »Vor zwei Wochen. Mit einem Mal. Hat seine Sachen gepackt, sie in einen Koffer geworfen und ist gegangen. Ohne jeden Streit, ohne jede Auseinandersetzung. Er hat dir die Wohnung überlassen, das Auto. Ist zu seiner Geliebten gezogen, einem Luder mit schwarzen Augenbrauen, einem jungen Flittchen ... dabei gehörst du selbst noch nicht zum alten Eisen, Töchterchen.«
    Diesmal reagierte Natascha gar nicht mehr auf das »Töchterchen«. Sie versuchte krampfhaft, sich zu erinnern, was sie ihrer Freundin gesagt hatte und was nicht. Die »schwarzen Augenbrauen« hatte sie bestimmt nicht erwähnt. Obwohl: dunkelhäutig war die Frau, mit schwarzem Haar... Erneut packte Natascha wahnsinnige, blinde Wut.
    »Auch warum er gegangen ist, weiß ich, Nataschenka ... Verzeih mir, dass ich dich Töchterchen genannt habe, schließlich bist du eine starke Frau, die sich kein X für ein U vormachen lässt. Aber ihr seid ja für mich alle wie die eigenen Töchter... Ihr hattet keine Kinder, nicht wahr, Nataschenka?«
    »Nein«, flüsterte Natascha.
    »Warum nicht, meine Liebe?« Die Kräuterfrau schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Dabei hat er sich doch so eine kleine Tochter gewünscht, oder?«
    »Ja...«
    »Dann hättest du ihm eine schenken sollen«, meinte Darja achselzuckend. »Ich hab übrigens fünf Kinder. Zwei sind zur Armee gegangen, meine beiden Ältesten. Eine meiner Töchter ist verheiratet und hat ein Kind, die andre lernt. Dann ist da noch mein Jüngster, dieser Lausebengel ...« Darja winkte ab. »Aber setz dich doch endlich...«
    Widerwillig nahm Natascha auf dem Hocker Platz. Fest presste sie ihre Tasche auf die Knie. »Es hat halt nicht sollen sein«, kam sie weiteren Vorstößen Darjas zuvor. »Und selbst wenn ich ein Kind zur Welt gebracht hätte, hätte ich deswegen meine Karriere nicht aufgeben wollen.«
    »Das kann ich ja verstehen.« Die Kräuterfrau hatte nichts einzuwenden. Sie wischte sich mit den Händen übers Gesicht. »Du hast deinen Willen ... Was machen wir jetzt? Du möchtest ihn doch zurück? Also, weshalb ist er gegangen? Seine Geliebte ist bereits von ihm schwanger ... und hat sich dafür mächtig

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