Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
und Kara neben mir auch auf. Der Schuß war Wirklichkeit; ich sah uns von weit über hundert Arabern umringt, in denen ich zu meinem Schrecken Scherarat erkannte. Kara war während seiner Wache wieder eingeschlafen; nur darum hatte es diesen Leuten gelingen können, sich heranzuschleichen und uns in ihre Mitte zu nehmen. Ihre Kamele oder Pferde hatten sie außer Hörweite zurückgelassen. Ich sah unsere Gewehre, die sie uns leise weggenommen hatten, in ihren Händen. Widerstand war unmöglich, unser Leben keinen Heller wert, weil wir mit ihnen in Blutrache standen. Es gab nur eine Rettung für uns, nämlich die, uns in den Himeji (Schutz) eines Hervorragenden von ihnen zu begeben.
    Das waren nicht etwa langdauernde Erwägungen von mir, sondern die Augen aufschlagen, aufspringen, die Feinde erblicken und diese Gedankenreihe hegen, war das Werk einer Sekunde. Wir durften nicht warten, bis einer von ihnen uns sagte, daß wir Gefangene seien, denn dann wäre es zu spät gewesen; wir mußten zuerst sprechen. Zwei Schritte vor mir stand ein alter Beduine von ehrwürdigem Aussehen; er schien kein gewöhnlicher Krieger zu sein. Ich schob schnell Halef und Kara zu ihm hin, faßte seinen Haïk und rief:
    „Dakilah ia Scheik!“
    Das heißt: Ich bin der Beschützte, o Herr! Kein Araber, und wenn er der größte Räuber und Mörder ist, wird einem Feind seinen Schutz versagen, der ihm diese Worte zuruft und ihn oder sein Gewand dabei berührt, welch letzteres die Hauptsache ist. Er wird ihn vielmehr mit seinem Leben verteidigen. Halef und sein Sohn kannten diesen Brauch oder vielmehr dieses Wüstengesetz ebensogut wie ich; so groß ihre Überraschung war, sie hatten doch die Geistesgegenwart, meinem Beispiele sofort zu folgen. Zwei rasche Griffe nach seinem Haïk und zwei zugleich erklingende Rufe „Dakilah ia Scheik!“ – sie standen nun auch unter seinem Schutz.
    Ringsum ertönten laute Rufe des Ärgers, daß wir ihnen zuvorgekommen waren. Der Alte wollte unwillig zurücktreten; als wir aber seinen Burnus festhielten, sagte er:
    „Eure Mäuler sind schneller gewesen als mein Mund, und so bin ich gezwungen, euch in meinen Schutz zu nehmen. Ich bin Abu 'Dem, der Scheik der Scherarat, und wehe dem, der euch, meinen Beschützten, ein Haar des Hauptes krümmt! Man gebe ihnen die Gewehre wieder!“
    Welch ein glücklicher Zufall, daß er der Scheik war! Und als ich meine beiden Gewehre wieder in die Hände bekam, schien mir die Rettung sicher zu sein. Es fragte sich nur, ob es in dieser Schar einen gab, der uns kannte. Eben als ich mir dies sagte, rief jemand, der sich eifrig durch die anderen herbeidrängte:
    „Nimm sie nicht unter deinen Schutz, o Scheik, ja nicht! Sie sind Blutfeinde von uns!“
    „Blutfeinde?“ fragte der Alte.
    „Ja. Der Mann mit den zwei Gewehren ist der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, ein Christ.“
    „Maschallah!“ fuhr der Scheik von uns zurück.
    „Der Kleine ist Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn; er war am Bir Nufah unser Gefangener und wurde von dem Giaur gerettet. Der dritte scheint sein Sohn zu sein. Alle drei haben uns an die Lazafah verraten, so daß wir am Bir Bahrid von ihnen besiegt wurden. Du weißt ja, wie viele tot und gefangen waren und wie wenige nur entkommen sind.“
    „Sind sie es wirklich? Irrst du dich nicht?“
    „Ich beschwöre es beim Propheten und bei allen Kalifen, daß sie es sicher sind!“
    Jetzt war der schlimme, der entscheidende Augenblick gekommen!
    „Ia thar, ia thar, ia thar – o Blutrache, o Blutrache, o Blutrache!“ riefen rundum alle Stimmen, während die Hände nach den Waffen griffen.
    „Ia himeji, ia himeji, ia himeji – o Schutz, o Schutz, o Schutz!“ rief ich dagegen, und Halef und sein Sohn stimmten ein.
    Der Scheik winkte mit der Hand, und es trat sofortige Stille ein. Sich zu mir wendend, fragte er:
    „Bist du wirklich der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, ein Christ?“
    „Ja.“
    „Dieser ist der Hadschi Halef Omar, Scheik der Haddedihn, und der andere sein Sohn?“
    „Ja.“
    „Und das wagst du, mir zu gestehen?“
    „Ich lüge nie, und es ist kein Wagnis. Es wäre ein Wagnis, es zu leugnen.“
    „Wieso?“
    „Weißt du nicht, daß der Beschützte den Schutz verliert, wenn er dem Beschützer eine Lüge sagt?“
    „Das ist die Wahrheit, ja. Ich habe gehört, daß du drüben in der Dschesireh und bei den Kurden viele große Taten verrichtet hast. Wie kann Allah einem Giaur solche Kraft, Geschicklichkeit und Tapferkeit

Weitere Kostenlose Bücher