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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verleihen?“
    „Er ist der Herr und Vater aller Menschen, der eurige und auch der unserige. Warum unterscheidest du mich nach dem Glauben von dir? Heute und hier gilt nur eines: Du bist der Schützer, und wir sind die Beschützten. Oder sollte sich der berühmte Scheik der Scherarat vor seinen Untergebenen so fürchten, daß er den gewährten Schutz zurückzuziehen vermöchte?“
    Das war eine kühne Frage. Er zog die Brauen finster zusammen und antwortete:
    „Und wenn ich dies täte?“
    „So würde dein Name geschändet sein in alle Ewigkeit.“
    „Aber ihr wäret verloren!“
    „Nein, noch lange nicht!“
    „Maschallah, Gottes Wunder! Du würdest noch an Rettung glauben?“
    „Nicht glauben, sondern von ihr überzeugt sein würde ich.“
    „Du redest wie ein Wahnsinniger!“
    „Ich spreche wie ein Mann, der ganz genau weiß, was er will. Wenn man dir von mir erzählt hat, so wirst du wahrscheinlich auch von meinem Zaubergewehr gehört haben?“
    „Man sagt, du könntest immerfort schießen, ohne zu laden, und niemals gehe eine deiner Kugeln fehl. Das glaube ich nicht.“
    „Du wirst es glauben. Zählt hundert Schritte ab, und steckt dort zehn Lanzen nebeneinander in die Erde! Ich treffe alle, ohne zu laden, bis auf ein Haar gleichweit entfernt von ihrer Spitze.“
    Ein allgemeines Gemurmel folgte dieser selbstbewußten Rede. Der Scheik drehte sich um und sprach leise mit den Nächststehenden. Halef flüsterte mir zu:
    „Wenn sie es tun, haben wir gewonnen, Sihdi!“
    Nach einer kleinen Weile kehrte sich der Scheik wieder zu mir und sagte:
    „Du sollst deinen Willen haben, doch nur unter einer Bedingung.“
    „Sag sie mir!“
    „Wenn du nicht so triffst, wie du gesagt hast, steht ihr nicht mehr unter meinem Schutz.“
    „Ich bin einverstanden“, antwortete ich ruhig, obgleich ich wußte, was ich dabei auf das Spiel setzte.
    Ging nur eine einzige Kugel fehl, so waren wir mitten unter so vielen Feinden auf uns selbst angewiesen. Aber ich kannte mein Gewehr, auf das ich mich zu verlassen hoffte, selbst wenn der Scheik mich im Stich ließ. Unsere Lage war vorhin nur deshalb eine so schlimme gewesen, weil uns im Schlaf die Gewehre genommen worden waren.
    Die Schritte wurden abgezählt und die Lanzen in die Erde gesteckt. Dann richteten sich aller Augen erwartungsvoll auf mich. Ich legte, ohne ein Wort zu sagen, den Henrystutzen an und gab, scheinbar ohne genau zu zielen, schnell hintereinander die zehn Schüsse ab, so schnell, daß sie nicht gezählt werden konnten oder wenigstens nicht gezählt wurden.
    Als ich das Gewehr absetzte, fragte der Scheik:
    „Fertig schon?“
    „Ja.“
    „Zehn Schüsse? So schnell?“
    „Wenn ich auf Menschen, auf Feinde schieße, geht es noch schneller! Seht die Lanzen an!“
    Alles eilte hin. Jeder wollte der erste sein, der sie sah. Da sagte Halef:
    „Sihdi, alle laufen dorthin, und wir stehen allein hier. Jetzt könnten wir fort!“
    „Und wenige Augenblicke später wären sie hinter uns her. Nein, wir bleiben. Bedenke doch die Zeit, ehe wir die Kamele zum Aufstehen brächten!“
    „Du hast recht; es geht nicht.“
    Die Lanzen wurden wieder aus dem Boden gezogen, sie gingen von Hand zu Hand und laute Rufe der Bewunderung waren zu hören. Inzwischen drehte ich mich um, die abgeschossenen zehn Patronen unbemerkt zu ergänzen. Dann sah ich die Augen der Scherarat zwar feindlich, aber achtungsvoll auf mich gerichtet. Der Scheik kam wieder zu mir, betrachtete mich vom Kopf bis zu den Füßen und sagte:
    „Dein Zaubergewehr ist keine Lüge; es sitzen alle zehn Kugeln, eine ganz genauso wie die andere. Welcher Djinn (Geist) hat dieses Gewehr gemacht?“
    „Es war ein Djinn in Amirica (Amerika) und hat Henry geheißen.“
    „So müssen dort in Amirica mächtigere Djinns sein als bei uns. Ihr steht unter meinem Schutz, und solange ihr euch bei mir befindet, wird euch nichts geschehen; da aber die Blutrache zwischen uns und euch ist, hat die Versammlung der Ältesten zu entscheiden, was mit euch geschehen soll.“
    „Was könnte sie zu entscheiden haben? Ich denke, wir sind bei dir sicher!“
    „Diese Sicherheit erstreckt sich, wie du wissen wirst, nur auf zweimal sieben Tage höchstens. Dann muß ich euch entlassen. Wenn die Versammlung mild entscheidet, so nimmt sie euch die Waffen, gibt euch einen Vorsprung und läßt euch dann verfolgen. Werdet ihr ergriffen, so kostet es euch das Leben. Denkt ja nicht daran, daß wir uns herbeilassen werden, euch das Leben zu

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