20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
schenken und dafür die Dijeh (Blutpreis) anzunehmen! Mein Name ist Abu 'Dem, Vater des Blutes, und wenn auch ein gewöhnlicher Krieger das vergossene Blut bezahlen kann, solche Leute, wie ihr seid, müssen ihr Leben dafür geben.“
„Wann wird die Versammlung der Ältesten zusammentreten?“
„Sobald der Haupttrupp meiner Leute gekommen ist; wir hier bilden nur die Vorhut. Wir müssen vorsichtig sein, um unsere Tiere hier zu tränken, denn es gibt –“
Er hielt mitten in der Rede inne, musterte uns mit einem fragenden Blicke und fuhr dann fort:
„Ihr schlieft, als wir hier ankamen. Wie lange wolltet ihr an diesem Brunnen bleiben?“
„Bis morgen früh“, antwortete ich.
„Allah akbar – Gott ist groß! Bis morgen früh! Kanntet ihr denn nicht die Gefahr, in welcher ihr hier geschwebt hättet?“
„Wir kannten sie. Es gab nur eine einzige.“
„Welche?“
„Eine Überraschung durch euch, unsere Todfeinde.“
„Weiter keine?“
„Nein.“
„Allah kerihm – Gott ist barmherzig. Er hat euch vor dem sicheren Tod bewahrt. Ist euch denn wirklich nicht bekannt, daß –“
Er hielt wieder inne, als ob er etwas hätte sagen wollen, was er uns lieber verschweigen müsse, und er hätte auch so nicht weiter sprechen können, denn es erhob sich jetzt am Eingang des Wadi ein lärmendes Getrappel von vielen Tieren. Fast schien es, als bräche eine wahre Hölle los, denn wirre Rufe und markerschütterndes Geschrei erklang. Staub wirbelte auf, und wir sahen eine große Schar von Reitern auf Pferden und Kamelen kommen. Voran ritt ein alter Mann von höchst abstoßendem Äußern. Sein zurückgeschlagener Haïk ließ sehen, daß sein ganzer Leib mit Amuletten behangen war; am Hals seines Kamels und an dem Sattel baumelten allerlei ausgestopfte Tiere und fremdartige Gegenstände; seine kleinen tückischen Augen lagen tief in ihren Höhlen; weit wie ein Geierschnabel stand seine Nase vor, während sein zahnloser Mund desto mehr zurückwich; seine Gestalt, außerordentlich lang und dürr, wankte auf dem Kamel wie eine Pagode hin und her, und die grüne Farbe seines Turbans zeigte, daß er sich zu den Abkömmlingen des Propheten zählte. Sofort, als ich ihn erblickte, sagte ich mir, daß dies kein anderer als Gadub es Sahhar, der Zauberer, sei, und ich hatte mich nicht geirrt. Wie angesehen er bei den Scherarat sei, konnte ich daraus ersehen, daß sie alle ihm entgegenliefen, um ihm mitzuteilen, welch einen kostbaren Fang sie gemacht hätten.
Als er es hörte, stieß er einen Jubelruf aus, glitt elastisch wie ein Jüngling von dem hohen Kamel herab, ohne es niederknieen zu lassen, kam herbeigerannt, betrachtete uns mit wild rollenden Augen und schrie mich dann an:
„Du, du also, du bist der verdammte Christenhund, dem ich die Gefangenschaft und den sichern Tod meines Sohnes zu verdanken habe? Das sollst du büßen, büßen, büßen! Deine Seele soll in dir stecken wie ein glühender Eisenbolzen, und dein Leib um dich brennen wie der verzehrende Feuerbrand, der um die Sonne läuft! Deine Eingeweide sollen dir einzeln herausgenommen werden, und die –“
„Schweig!“ donnerte ich ihn an, indem ich ihn unterbrach. „Ich bin der Beschützte. Wie darfst du mich beleidigen!“
„Der Beschützte?“ fuhr er auf. „Wessen?“
„Der meinige“, antwortete der Scheik.
„Wie? Wie? Wie? Der deinige? Wie kannst du es wagen, Leute, die unsere tausendfachen Todfeinde sind, in deinen Schutz zu nehmen!“
„Wagen?“ fragte der Scheik stolz. „Was kann Abu 'Dem, der Scheik der Scherarat, wagen? Hast du mir etwa zu befehlen, was ich tun darf oder nicht? Diese Männer haben mein Gewand ergriffen und mir dabei zugerufen: ‚Dakilah ia Scheik!‘ Nun will ich wissen, wer es wagt, mir zu sagen, daß ich sie nicht beschützen darf!“
„Wer? Wer? Wer? Ich sage es, ich, ich, ich! Und ich will hören, wer es wagt, mir zu widersprechen. Ich schicke ihm alle bösen Geister der Erde und der Hölle in den Leib!“
Da wendete sich der Scheik zu seinen Leuten um und rief:
„Ihr Männer und Krieger der Scherarat, entscheidet, wer recht hat, er oder ich! Muß ich die Gefangenen beschützen oder darf ich es nicht?“
Er erhielt keine Antwort. Sie mußten ihm im stillen recht geben, aber keiner wagte es, gegen den Zauberer zu sprechen, dessen Kunst sie fürchteten, weil sie mehr als zu sehr abergläubisch waren. Er stieß ein höhnisches Lachen aus und kicherte den Scheik mit überschnappender Stimme an:
„Hörst
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