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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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raten!“
    „Und denkst du, daß sie zu uns kommen?“
    „Auf jeden Fall. Sie werden dabei zwar die größte Vorsicht anwenden, und uns erst heimlich beobachten, dann aber, wenn sie bemerken, daß wir nur zwei Personen sind, sich unbesorgt uns zeigen. Nach ihrem Verhalten werden wir dann das unsrige richten. Jetzt wollen wir nicht mehr von ihnen, sondern von etwas Gleichgültigem sprechen, denn es ist möglich, daß sie schon in unserer Nähe sind. Wenn ich sie bemerke, werde ich dir ein Zeichen dadurch geben, daß ich meine Hände zusammenlege.“
    „Wenn wir sprechen, kannst du doch nicht hören!“
    „Ja, du würdest sicherlich nichts hören, denn du mußt erst wieder in Übung kommen; mir aber kann trotz unseres Gesprächs kein von ihnen verursachtes Geräusch entgehen; das werde ich dir beweisen.“
    Wir setzten uns beim Feuer nieder, ich mit dem Rücken gegen das Gebüsch, Halef mir gegenüber.
    Es war so, wie ich sagte: es dauerte nicht lange, so konnte ich ihm das Zeichen geben; ich wußte, daß sich hinter mir jemand im Gebüsch befand. Ich hatte weder etwas gesehen noch gehört; es war jenes eigenartige Gefühl, jener undefinierbare sechste Sinn, der sich beim Westmann nach und nach zu einer Schärfe entwickelt, welche derjenigen des Auges und des Ohres vollständig gleichkommt. Es ist mehr ein Ahnen als ein Empfinden, und doch wieder ist es eine Art von Gefühl, denn es war, als ob von dem hinter mir stehenden Perser ein Fluidum auf mich überginge, ähnlich dem Atomenstrom, welcher einen riechenden Gegenstand mit den Geruchsorganen des Menschen verbindet.
    Wir sprachen so unbefangen miteinander, als ob wir keine Ahnung von dem Vorhandensein eines Lauschers hätten, doch hatte ich einen Gesprächsstoff gewählt, welcher nichts über unsere Personen und Absichten erraten ließ. Infolgedessen hörte der Mann uns eine ganze Weile zu, ohne zu erfahren, was er jedenfalls gern wissen wollte. Das machte ihn ungeduldig und trieb ihn aus seinem Versteck hervor. Er trat aus dem Gebüsch heraus, stellte sich vor uns hin und fragte in einer Weise, als ob er der Gebieter dieses Platzes sei:
    „Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?“
    In der Erwartung, daß wir vor Überraschung oder gar vor Schreck sehr bestürzt sein würden, strich er sich wohlgefällig die steifgewichsten Bartzapfen und sah mit erwartungsvollen Augen auf uns nieder. Als wir aber weder uns rührten noch etwas sagten, fuhr er uns an:
    „Warum antwortet ihr nicht? Seid ihr blind und taub, daß ihr mich weder zu hören noch zu sehen scheint?“
    Da antwortete ich:
    „Ja, wir sind allerdings blind und taub, aber nur für solche Leute, welche uns Veranlassung geben, nicht auf sie zu achten.“
    „Bin damit etwa auch ich gemeint?“
    „Ja.“
    „Warum?“
    „Weil dein Verhalten nicht dasjenige eines Menschen ist, den man zu beachten hat.“
    Da rief er höhnisch aus:
    „Aefsuhsa – ach, wie schade! Ich scheine also ein Mann zu sein, der für euch gar nicht vorhanden ist?“
    „Nicht vorhanden sein sollte“, verbesserte ich ihn; „denn indem ich mich trotzdem herbeilasse, mit dir zu sprechen, gebe ich dir doch den Beweis, daß ich deine Gegenwart bemerkt habe.“
    „Meine Gegenwart bemerkt! Welche Freundlichkeit und Güte! Wie dankbar bin ich dir dafür, daß du so gnädig bist, meine Gegenwart überhaupt zu bemerken! Also eigentlich sollte ich, wie du sagst, für euch gar nicht vorhanden sein! Und ich habe mich doch bisher stets für einen Mann gehalten, welcher nicht nur sehr vorhanden ist, sondern der auch gewohnt ist, überall und von jedem Menschen, so hoch dieser auch stehe, nicht nur bemerkt, sondern auch mit Höflichkeit behandelt zu werden!“
    „Da scheinst du dich in einem großen Irrtum befunden zu haben, denn wer Höflichkeit verlangt, muß selbst auch höflich sein.“
    „Allah! Soll das ein Vorwurf sein?“
    „Nein. Es ist mir ganz und gar gleichgültig, wer, was und wie du bist; aber da du von Höflichkeit sprichst, so hast du mich dadurch darauf aufmerksam gemacht, daß du diese Eigenschaft nicht zu besitzen scheinst.“
    Er lachte belustigt auf und fragte:
    „Du meinst wohl, daß ich euch hätte grüßen sollen?“
    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete:
    „Was man durch Fragen zu erfahren sucht, das weiß und kennt man nicht. Indem du nach dem Gruß fragst, beweisest du, daß dir die einfachste Regel der Höflichkeit vollständig unbekannt ist.“
    Da kreuzte er die Hände über die Brust, machte

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