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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Hammurabi, der tapfere Tukulti-Adar I. der medische Kyaxares und der Achämenide Cyrus aus ihren Gräbern gestiegen wären und, jetzt da vor mir sitzend, einander ihre diplomatischen und sonstigen Geheimnisse mitgeteilt hätten, wäre mir ihre Unterhaltung wahrscheinlich verständlicher gewesen als das, was ich von diesen drei Neupersern gehört hatte. Es sollte aber noch verwickelter kommen, denn der Anführer begann nach der erwähnten Pause wieder:
    „Worüber denkt ihr nach? Wohl über das, was ich euch gesagt habe?“
    „Ja“, antwortete Aftab. „Wir sind bereit, zu dir zu stehen. Der Särbahs (Soldat) kann keine Schlacht gewinnen, wenn er den Sahibmänsäb (Offizier) nicht sieht und nicht kennt, dem er gehorchen soll. So soll auch uns der Gebieter, welcher uns regiert, kein unsichtbares Wesen sein, welchem unser Leben gehört, obgleich es sich uns niemals zeigt. Wir haben auch schon mit andern Sillan darüber gesprochen, und sie sind ganz derselben Meinung gewesen. Sag uns nur, was wir tun sollen! Wir werden dir gehorchen.“
    „So kann ich mich also auf euch verlassen?“
    „Ja. Du sprachst davon, daß dem Amir-i-Sillan der Säbel schon über dem Haupt schwebt. Kennst du die Zeit?“
    „Ja.“
    „Den Ort?“
    „Ja.“
    „Dürfen wir es wissen?“
    „Ich sage es euch, denn ich kenne euch als verschwiegene Männer, denen ich mein Vertrauen schenken kann. Ihr wißt doch, jedem Duschämbä-i-Mäwahjib (Montag des Soldes) die Pädärahn sich alle in der Ruine der Mäjmä-i-Yähud (Synagoge) versammeln, um seine Befehle entgegenzunehmen und ihm Rechenschaft abzulegen. In dieser Nacht wird, wenn es mir gelingt, die andern – – –“
    Er hielt inne, denn es fiel ein Schuß, und zwar in der Gegend, in welcher ich Halef wußte. Ich erschrak natürlich, denn er mußte sich in Gefahr befunden haben oder noch befinden, sonst hätte er nicht geschossen. Ich mußte ihm zu Hilfe eilen und dachte doch daran, daß ich mich nicht so schnell entfernen könne, ohne Geräusch zu verursachen. Da kam mir aber der Schreck der Perser zu Hilfe. Sie waren, als sie den Schuß hörten, aufgesprungen, ergriffen ihre Flinten und eilten in das Gebüsch, um von einem etwa auf sie schießenden Feind nicht gesehen zu werden. Das dabei unvermeidliche Rauschen und Knacken der Sträucher gab mir Gelegenheit, mein Versteck unbemerkt zu verlassen. Ich rannte hinter den Büschen unserem Lagerplatz zu. Dort angekommen, sah ich Halef mit erhobenem Gewehr stehen, welches er auf mich richtete, als er mich bemerkte.
    „Schieß nicht, Halef!“ warnte ich halblaut. „Ich bin es. Warst du es, der geschossen hat?“
    „Ja.“
    „Warum? Auf wen?“
    „Es war ein Löwe, Sihdi. Er schlich sich heran, um deinen Assil Ben Rih zu fressen.“
    „Unsinn!“
    „Es ist kein Unsinn. Ich habe ihn ganz deutlich gesehen.“
    „Wirklich, Halef, wirklich?“
    „Ja; es war ein Löwe, ein richtiger, wirklicher Löwe, ein ‚Vater mit dem dicken Kopf‘, vor dem ich aber nicht ausgerissen bin!“
    Es war immerhin möglich, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der Perserlöwe verirrt sich zuweilen auch in die Dschesireh, wie ich aus Erfahrung wußte, und so zog ich die Hölzer aus der Tasche, um schnell das Feuer anzubrennen, wozu wir einen Reiserhaufen mit trockenem Gras schon bereitgehalten hatten. Das Feuer sollte dem Löwen, falls es wirklich einer gewesen war, die Lust zur Wiederkehr verleiden; daß wir dadurch die Aufmerksamkeit der Perser auf uns lenkten, konnte und mußte mir sehr gleichgültig sein.
    Als die hoch emporlodernde Flamme den Platz erleuchtete, ließ ich mir sagen, wo Halef den ‚Vater mit dem dicken Kopf‘ gesehen hatte. Er deutete mir die Richtung mit der ausgestreckten Hand an und sagte:
    „Dort kam er geschlichen; als er mich erblickte, blieb er stehen. Es war ein großer, gewaltiger Abu er Rad (Vater des Donners). Ich gab ihm die Kugel, und dann war er nicht mehr zu sehen. Ich habe ihn getroffen; das weiß ich ganz genau. Er ist vor Schreck und Angst dahingefahren, denn wo Hadschi Halef Omar steht, der Scheik der Haddedihn, da kann es selbst der stärkste Löwe nicht aushalten!“
    Ich nahm meinen schweren Bärentöter schußfertig in die Hand und entfernte mich langsam und vorsichtig in der angedeuteten Richtung. Nach ungefähr vierzig Schritten konnte ich mich überzeugen, daß Halef sich nicht geirrt hatte; er hatte wirklich getroffen – aber was!
    Ich rief ihn zu mir. Er kam herbei und fragte schon von weitem:
    „Was

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