20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
schwach. Nicht widerwärtig, sondern im Gegenteil erfreulich ist es, zu sehen, daß die Gerechtigkeit keinen Para hoch um das, was ihr gehört, betrogen wird. Du hast mich einen Herrscher genannt. Es ist die Pflicht eines jeden regierenden Gebieters, sich zu überzeugen, daß jede Missetat den verdienten Lohn empfängt. Nun wohl, ich will mich überzeugen, zumal die Strafe hier viel, viel niedriger ist, als sie eigentlich sein sollte. Wer den Tod verdient hat und nur Schläge erhält, der muß sie aber so bekommen, daß er sie nicht mit süßen Datteln verwechselt. Ich gehe jetzt, und wenn der Sill nicht aus Leibeskräften haut, so vergesse ich die Hoheit meines Herrschertums, indem ich die Kraft seines Armes mit meiner Karbatsch stärke.“
„Nur nicht unmenschlich, Halef! Verstanden?“
Er nickte nur, band den Sill wieder los und ging mit ihm in die Hütte, vor welcher die Frau angebunden stehenblieb. Ich entfernte mich so weit, als ich es für zugänglich hielt, das Geschrei der Geschlagenen nicht zu hören. Es verging wohl eine halbe Stunde, bis Halef kam; meine Spur hatte ihm gesagt, wohin ich gegangen war. Sein Gesicht zeigte keineswegs einen so befriedigten Ausdruck; wie ich erwartet hatte; deshalb erkundigte ich mich:
„Ist's glatt vorübergegangen?“
„Ja“, antwortete er; „nur die Gegenden, welche von der Karbatsch besucht wurden, sind nicht mehr glatt.“
„Und doch bist du nicht befriedigt?“
„Es ist anders abgelaufen, als ich erwartete. Der Sill schlug aus Leibeskräften zu; das Blut floß herab, aber keiner der drei Hunde hat einen Laut von sich gegeben. Sie haben die Zähne zusammengeknirscht, daß ich es hörte. Als der letzte Hieb gefallen war, dachte ich, daß sie nun wenigstens drohen und fluchen würden; sie blieben aber stumm.“
„Das ist für uns drohender, als wenn sie noch so sehr getobt hätten. Wehe uns, wenn wir in ihre Hände fallen sollten!“
„Willst du sie sehen?“
„Nein.“
„Das dachte ich; darum habe ich ihre Taschen untersucht und dir gebracht, was ich fand.“
„Was?“
„In den Taschen des Pädär-i-Baharat steckte dieses Geld und dieses Pergament; die beiden andern hatten nichts als einige kleine Münzen, die ich ihnen gelassen habe.“
Der Beutel, den er mir reichte, enthielt gegen fünfhundert Tumans; ich gab ihn dem Hadschi wieder. Das mehrfach zusammengebrochene Pergament war auf der einen Seite mit Ziffern beschrieben; auf der andern sah ich eine kleine Planzeichnung, aus welcher ich nicht klug werden konnte, und eine Reihe von Namen, die für mich wahrscheinlich keinen Wert hatten. Dennoch kopierte ich, meiner alten Gewohnheit folgend, Plan und Namen in mein Taschenbuch. Einige kleine Gruppen von kommaähnlichen Strichen hielt ich für bedeutungslos, weil sie aussahen, als ob sie nur gemacht worden seien, um die Feder zu probieren oder ein Haar aus ihr zu entfernen, doch blieben sie, wie sich später zeigen wird, meinem Gedächtnisse scharf und deutlich eingeprägt. Dann gab ich auch das Pergament zurück und sagte:
„Trage alles wieder hin! Wir brauchen es nicht.“
„Auch das Geld?“
„Natürlich. Wir sind doch keine Diebe.“
„Das ist richtig! Ich brachte es auch nur, um es dir zu zeigen. Was tun wir nun? Ich hab den Sill, nachdem er seine Schuldigkeit getan hat, wieder dort neben seiner Frau angebunden.“
„Wir setzen unsere Fahrt fort, machen aber beide nicht gleich ganz, sondern nur soweit von ihren Banden frei, daß sie noch eine Zeitlang sich bemühen müssen, vollends loszukommen. Dadurch gewinnen wir soviel Vorsprung, daß wir Bagdad eher als die drei Perser erreichen, obgleich ihr Floß schneller als das unsere schwimmt.“
„Das ist klug von dir gehandelt, obgleich wir gar keinen Grund haben, uns vor ihnen zu fürchten. Du erteilst mir doch die Erlaubnis, mich, ehe wir gehen, wenigstens von dem Mann aus Mansurijeh und seinem Weibe zu verabschieden?“
„Wozu das? Es ist nicht nötig.“
„Nicht nötig? O Sihdi, wie wenig bist du doch in die Erfordernisse der menschlichen Begrüßungsnotwenigkeiten eingeweiht! Man kommt doch weder zueinander noch geht man wieder auseinander, ohne die vorgeschriebenen Hochachtungsverbeugungen gemacht und die Versicherungen inniger Liebe und Treue ausgetauscht zu haben. Wenn man im Land deiner einstigen Geburt ohne diese Höflichkeiten leben kann, so ist damit noch lange nicht bewiesen, daß auch die hochgebildeten Völker des Orients so wortlos auseinandergehen müssen wie zwei
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