20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
Wortlosigkeit meiner Verwunderung in Worte zu kleiden! Sieh hier diesen berühmten Emir Kara Ben Nemsi Effendi an! Auch er wird dir sagen, daß die Schwäche deines Gedächtnisses zwar niemals die glänzenden Strahlen meiner Erleuchtung – – –“
Er wurde unterbrochen. Der kleine, mit dem Lob seiner selbst so gern freigebige Kerl hatte unbedachtsamerweise meinen Namen genannt; da horchte der Wirt zunächst verwundert auf und fiel ihm dann hastig in die Rede:
„Dieser Emir Kara Ben Nemsi Effendi hier, sagst du? Habe ich richtig verstanden?“
„Allah Wallah!“ lachte Halef halb verlegen. „Da ist mir freilich mein Sihdi ganz plötzlich aus dem Mund gefahren, obwohl ich glaubte, daß er fest und sicher darin steckenbleiben würde. Schau dir ihn an! Auch ihn hast du nicht wiedererkannt!“
„Maschallah – Gott tut Wunder! So seid ihr es also beide! Du bist Hadschi Halef Omar, und er ist Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi aus Dschermanistan?“
„Ja das sind wir; er ist wirklich er, und ich bin wirklich ich; wir sind nicht zu verwechseln und mit keinem Menschen zu vertauschen.“
„So heiße ich euch hochwillkommen und sage euch, daß alle Räume meines Hauses und mein ganzes Eigentum euch so lange, wie es euch beliebt, zur Verfügung stehen!“
Er war aufgesprungen, drückte uns die Hände und zeigte eine Freude, welche um so rührender war, als die Kürze unseres damaligen Aufenthaltes bei ihm uns gar nicht zu der Annahme berechtigte, daß er uns eine solche Zuneigung aufbewahrt habe. Ich glaubte, annehmen zu müssen, daß hier noch ein besonderer, mir unbekannter Grund vorliege, sich über dieses unerwartete Wiedersehen zu freuen. Und er war es nicht allein, der diese Freude hegte, denn die Tür wurde jetzt kräftig und sperrangelweit aufgestoßen, und Kepek, die ‚Kleie‘, kam auf uns zugeeilt, so schnell es ihm seine ungeheure Fettpolsterung erlaubte. Er streckte mir beide Hände hin und rief mit seiner hohen, lebertranigen Stimme:
„Hamdullillah für die große Freude, die mir heut von euch bereitet wird! Emir, ich habe, wie du wohl gehört haben wirst, die zwei goldenen Tumans nicht vergessen, die du mir gegeben hast. Sie sind zwar in Gestalt von Schnupftabak in meine Nase eingegangen, aber dennoch nicht verschwunden, denn sie stiegen mir von da aus in das Herz hinunter, wo sie noch heute liegen als Andenken an die Freundlichkeit, mit welcher ihr an meinen leeren Beutel dachtet. Mein Effendi hat euch schon willkommen geheißen, nun gebe auch ich euch die Versicherung, daß uns keine größere Freude bereitet werden konnte, als durch eure Ankunft hier, denn wir haben seit jener Zeit stets gewünscht, euch wiederzusehen, um euch in eine Sache einzuweihen, über welche wir unsere Köpfe ganz vergeblich fast zerbrochen haben.“
Ah, also doch ein besonderer Extragrund für die Freude, welche uns entgegengebracht wurde. Das Verhältnis zwischen Herr und Diener war sichtlich ein so intimes, daß ich mich gar nicht bedachte, dem Dicken die Hände zu drücken, was freilich nicht mit einem einmaligen Griff, sondern nur nach und nach geschehen konnte, denn diese Pranken hatten infolge ihrer Fettwattierung einen solchen Umfang angenommen, daß ein halbes Dutzend Bären während des Winterschlafes von ihnen hätten zehren können.
„Ja, so ist es“, stimmte der Pole bei. „Ich habe dich, Effendi, um einen guten Rat zu bitten, denn es gibt keinen Menschen außer dir, dem ich mich anvertrauen könnte und möchte.“
„Wenn es mir möglich ist, ihn zu geben, sollst du ihn haben; aber warum bin grad ich dieser Mensch?“
„Weil ich dich für den einzig Richtigen halte, an den ich mich zu wenden habe. Alles, was über dich erzählt wird, und ich dann durch Kepek erfahren habe, gibt mir die Überzeugung, daß ich mich nicht vergeblich an dich wenden werde. Wie dein Mut unüberwindlich, deine Hand stark und deine Tapferkeit unbesiegbar ist, so besitzt du auch eine nie erlahmende Willenskraft und eine List, die über alle Klugheiten anderer triumphiert. Und daß grad du es bist, der zu mir kommt, das vollendet die Festigkeit meiner Zuversicht, daß du dich mit Erfolg der betreffenden Angelegenheit annehmen wirst. Euer Kommen macht mich glücklich, denn es wird mir die Ruhe meines Herzens wiedergeben, die ich verloren habe.“
„Und mir die Kraft der gesunden Verdauung, welche mir abhanden gekommen ist“, fügte Kepek mit trübseliger Miene hinzu. „Mein Magen nahm früher alles an, was ihm geboten
Weitere Kostenlose Bücher