20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
die Zeit zum Herumlaufen herkommen, zumal ich doch meine gewohnten vier Tassen Kaffee unterwegs trinken mußte.“
„Das konntest du einmal lassen!“
„Lassen? Unmöglich, ganz unmöglich, Effendi! Du hast ja heut erfahren, wie hochwichtig es ist, daß ich täglich diese vier Kaffeestuben besuche, um dir alle Neuigkeiten zu bringen, welche ich erfahre. Wenn ich das nicht täte, hättest du nie etwas über diese beiden erleuchteten Männer erfahren, welche hier vor uns stehen. Ich muß das tun, unbedingt tun, und du wirst also erkennen, daß dein Vorwurf mich ganz ungerecht trifft, weil ich unschuldig, vollständig unschuldig bin.“
„Nun gut, so will ich gegen diesen Punkt nichts mehr sagen, aber daß wir heut nichts mehr zu essen haben, das wenigstens braucht nicht zu sein. Ich war überzeugt, daß das Fleisch für diese ganze Woche ausreichen werde.“
„Für diese ganze Woche! Allah, Allah, dein Rat ist unerforschlich! Was hast du doch für sonderbare Gedanken zugelassen. Wenn ein halber Hammel für eine ganze Woche langen soll, was kommt da auf den Tag? Und wenn das Fleisch schon beim Einkauf den Duft der Leichen hat, wie soll es dann wohl erst nach einer Woche riechen! Es war schon jetzt nicht mehr zu essen. Ich aber habe es dennoch mit Besiegung alles Widerwillens und mit Zusammenfassung meiner ganzen Selbstbeherrschung gebraten und verspeist, damit nicht du gezwungen bist, die traurige Wirkung einer solchen Speise an deiner Gesundheit zu verspüren. Ich habe also in reiner Aufopferung für dich gehandelt und die größte Anerkennung von dir verdient. Ich bin auch in diesem Punkt so unschuldig wie ich immer bin, wenn mich ungerechte Vorwürfe von dir treffen; aber anstatt daß ich dein Lob dafür ernte, muß ich Worte des Tadels und des Zornes hören. Es ist wirklich nicht leicht, sowohl der Diener als auch der Koch eines Mannes zu sein, der einen halben Hammel auf eine ganze Woche auseinanderzerren will und dem Verdienst seines treuen Untergebenen die mit großen Schmerzen erwartete Anerkennung versagt!“
Der Alte schien von diesem Vorwurfe gerührt zu sein, denn er sprach in mildem Ton:
„Lassen wir den Hammel sein; aber wenigstens brauchte der junge Hahn doch nicht so schnell zu verschwinden!“
„Sprich nicht von ihm; ich bitte dich! Es war ihm so im Buch des Lebens vorgezeichnet. Er war an demselben Tag wie der Hammel geschlachtet worden; ich hatte beide zu derselben Stunde gekauft; sie waren miteinander nach Hause geschafft und auf demselben Herd nebeneinander gebraten worden; daraus folgt doch, daß sie auch miteinander verspeist werden mußten. Dagegen war nichts zu wollen, nichts zu sagen und nichts zu tun. Außerdem hat der Hahn mich ganz gewiß vom Tod errettet. Nämlich als der Hammel den Weg seiner Bestimmung gegangen war, verfiel mein armer Magen in einen solchen Zustand der Erbärmlichkeit, daß ich von dieser Erde abzuscheiden gedachte und deutlich fühlte, daß es mir bestimmt sei, infolge des Genusses dieses verdorbenen Fleisches zu den Vorvätern meiner Urahnen versammelt zu werden. Ich sterbe gern und habe keine Angst vor dem Tod, weil nach demselben die ewigen Freuden das Paradieses folgen; aber ich dachte an dich und was mit dir werden solle, wenn ich, der Gefährte deines Alters und die einzige Stütze deiner Lebenstage, dich verlassen müsse. Ich gedachte meiner unvergleichlichen Anhänglichkeit und Liebe zu dir, meiner Pflicht, dir den Abend deines Daseins zu verschönern, und ging in mein Inneres hinein, um den festen Entschluß zu fassen, mich dir noch zu erhalten und bei dir auszuharren trotz der immerwährenden Betrübnis, daß du mir stets unrecht gibst. Ich mußte also das Elend meiner Verdauung überwinden, was nur dadurch geschehen konnte, daß ich meinen schon halb abgeschiedenen Magen wieder zurückrief, indem ich ihn durch den jungen Hahn verlockte, es noch einmal mit der Erfüllung seiner irdischen Verpflichtungen zu versuchen. Dies ist mir gelungen, und aus Freude darüber habe ich ihn dann durch die wohlverdiente Gabe des neubackenen Brotes belohnt, welches du ihm leider nicht zu gönnen scheinst. Wenn du mir nun Vorwürfe darüber machst, daß ich mich und dich errettet habe, so sind sie unverdient, denn ich bin an dem Verschwinden der Speisen so unschuldig wie ein harmloser Ziegenbock, den man beschuldigt, ein Kamel gefressen zu haben, während es doch der Löwe gewesen ist. Weiter habe ich dir nichts zu sagen, Effendi; nun tue, was du willst.“
Diese
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