20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
vielleicht gar in den Tod gebracht.“
„Ja, so ist es“, stimmte mir Jim Snuffle bei. „Vielleicht sind diese armen Teufel inzwischen überfallen und ausgelöscht worden. Meinst du nicht auch, alter Tim?“
„Yes“, nickte sein Bruder.
Perkins blickte sehr verlegen vor sich hin. Er sah ein, daß wir recht hatten, und versuchte eine letzte Entschuldigung:
„So schlimm ist es jedenfalls nicht, denn ich denke, daß meine Gefährten die Roten rechtzeitig bemerkt und sich vor ihnen versteckt haben.“
„Diese Annahme hat nicht die geringste Berechtigung“, entgegnete ich. „Selbst wenn es so wäre, wie Ihr sagt, so sind die Comanchen doch nicht blind. Sie haben die Fährte vor Augen und würden das Versteck leicht und schnell entdecken; es ist ja heller Tag. Ihr habt so kopflos, so leichtsinnig und unverantwortlich gehandelt, daß es gar keine Entschuldigung für Euch geben kann. Wehe dem armen Menschen, der sich einem solchen Führer, wie Ihr seid, anvertraut! Wißt Ihr denn nicht, daß ein Scout sein Leben ohne alles Zögern daran zu setzen hat, wenn es die Sicherheit derjenigen gilt, die sich in seinen Schutz begeben haben! Ihr habt Euch rechtfertigen wollen, aber grad das Gegenteil erreicht. Ein Pferdedieb ist eben ein Dieb, doch kann man immerhin einen gewissen Respekt vor seinem Mut, seiner Kühnheit haben; aber einen Scout, der so feig handelt wie Ihr, den muß man verachten. Wir wollen sehen, ob Rettung vielleicht noch möglich ist, und den Roten schnell folgen. Ihr seid doch mit dabei, Mr. Jim?“
„Wie könnt Ihr nur so fragen! Die beiden Snuffles sind stets und gern dabei, wenn es gilt, einen Menschen, welcher in der Patsche steckt, herauszuholen. Meinst du nicht auch, alter Tim?“
„Yes“, nickte dieser. „Müssen uns beeilen!“
„Allerdings. Fünf Weiße, von denen drei keine Westmänner sind, gegen siebzig Rote, welche sich auf dem Kriegspfade befinden, das ist keineswegs das höchste der Gefühle. Aber, Mr. Shatterhand, sagt mir einmal, ob Ihr das für wahr haltet, was dieser Perkins und sogenannte Scout jetzt vorgebracht hat!“
„Ich denke, daß wir es glauben können, denn hätte er abermals gelogen, so wäre es um ihn geschehen. Wir haben es nach seiner Angabe mit einem Fremden, seinen zwei Dienern und zwei Westmännern zu tun. Wenn man nur wüßte, was diese beiden letzteren für Kerle sind.“
„Es sind tüchtige Leute, Sir, sehr tüchtige Leute“, versicherte Perkins.
„Wenn sie geradeso tüchtig sind, wie Ihr seid, so mag Gott ihnen und den drei Fremden gnädig sein! Also vorwärts! Wir haben hier schon zuviel Zeit versäumt.“
Wir stiegen auf und folgten der nach Westen, also flußaufwärts, führenden Fährte. Man sagt, es pflege bei jedem Unglück auch ein Glück zu sein, und dieses Wort konnten wir hier auch in Anwendung bringen. Daß der Fremde, wie ich der Überzeugung hegte, von den Roten eingeholt und überfallen werden würde, das war ein Unglück für ihn; ein Glück war es dagegen zu nennen, daß die Indianer den feigen Scout nicht gesehen hatten, denn sie glaubten infolgedessen hinter sich alles in Sicherheit und ahnten nicht, daß Leute ihnen folgten, welche sich der Bedrohten annehmen wollten.
Ich glaubte, daß Perkins zuletzt die Wahrheit gesagt hatte; Beweise hatte ich freilich nicht dafür, denn die Spuren der Weißen waren am Lagerplatz so von den Indsmen zertreten worden, daß sie gar nicht mehr unterschieden werden konnten; ich hoffte aber, unterwegs auf deutlichere Zeichen zu treffen. Diese Erwartung ging schon nach einiger Zeit in Erfüllung, als wir eine Stelle erreichten, an welcher die Roten halten geblieben waren. Wir zügelten unsere Pferde auch, und Jim Snuffle sagte:
„Hier scheint ihnen etwas ein- oder aufgefallen zu sein, denn sie haben sich beraten. Wenn man nur wüßte, worüber!“
„Ich weiß es“, erklärte ich.
„Nun?“
„Über die Zahl der Weißen, denen sie folgten.“
„Meint Ihr? Warum?“
„Sie sind bisher in der Spur der Weißen geritten; hier aber haben sie dieselbe verlassen, und zwei von ihnen sind abgestiegen, um sie zu untersuchen. Es scheint, daß sie unterwegs verschiedener Meinung geworden sind und hier haben sehen wollen, wer die richtige hat. Da sie sich an dieser Stelle in acht genommen haben, die Fährte der Bleichgesichter zu verderben, so ist dieselbe auch für uns noch deutlich zu erkennen, und ich will schauen, was wir von Perkins' Aussagen zu halten haben.“
„Ja, schaut nach, Sir!“
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