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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Mauer und banden mir und Kepek Stricke um die Hälse. Ich konnte nicht bezweifeln, daß sie uns aufhängen würden, und so erklärte ich mich denn mehr aus Rücksicht auf den Onbaschi als auf mich bereit, die Summe zu bezahlen. Vielleicht wirst du sagen, Effendi, daß dies feig von mir gewesen ist?“
    „Das fällt mir nicht ein. Es hätte wohl jeder an deiner Stelle genauso wie du gehandelt, denn wenn man die Wahl hat, entweder als armer Mann leben bleiben zu dürfen, oder als reicher aufgehängt zu werden, so wird man wohl das erstere vorziehen. Du hattest ja deine einträgliche Stellung und konntest also wieder wohlhabend werden.“
    „Das sagte ich mir auch, mußte aber nur zu bald einsehen, daß diese Hoffnung eine vergebliche war. Man nahm uns die Stricke wieder ab und brachte – ah, kannst du erraten, was man nun brachte?“
    „Nein.“
    „Man brachte mein Diwit jazy takym (Schreibzeug), ja, mein eigenes Diwit jazy takym nebst Mürekiceb (Tinte), Kalem und Kiahat (Feder und Papier), und erstaunlicherweise war dieses Kiahat auch von mir, von meinem eigenen Schreibtisch genommen! Man hatte das alles in ein Päckchen gepackt, in welchem auch Lök (Siegellack) und mein Mühür (Petschaft) war. Was sagst du dazu?“
    „Daß dieser Streich, den man dir spielte, seit langer Zeit und sehr eingehend vorbereitet gewesen ist. Man brauchte alle diese deine eigenen Sachen, die man auf der Bank wahrscheinlich kannte, um dort zu überzeugen, daß die Anweisung wirklich von dir und von keinem andern komme. Du hast sie natürlich geschrieben?“
    „Ja, doch nicht wie ich wollte, sondern der Säfir diktierte sie. Er mußte ein gewandter Geschäftsmann sein, denn er verfaßte sie so, daß ich, wenn ich Kassierer der betreffenden Bank gewesen wäre, das Geld ohne alles Bedenken sofort aufgezählt hätte. Es stand übrigens ohne Kündigung, da ich in meinen Verhältnissen und als türkischer Beamter unter einem übelwollenden Pascha in einer von Stambul so entfernten Stadt unter allerlei Scherereien zu leiden hatte und sogar gezwungen war, mit einer plötzlichen Entlassung zu rechnen. Da war es geraten gewesen, mein Geld so anzulegen, daß ich es zu jeder Stunde bekommen konnte. Als der Säfir die Anweisung in den Händen hatte, verglich er sie mit einigen andern Papieren und sagte mir:
    ‚Hier sind Schriftstücke, welche du verfaßt hast, und ich habe dein jetziges Schreiben mit ihnen verglichen. Hättest du deine Hand verstellt, so wäret ihr doch noch aufgehängt worden. Jetzt habe ich euch etwas zu zeigen und werde dann eine Frage an dich stellen. Überlege sie dir wohl, ehe du sie beantwortest, denn von deiner Entscheidung hängt wahrscheinlich euer Leben ab!‘
    Man band uns die Stricke von den Füßen los, so daß wir aufstehen und gehen konnten; die Hände aber blieben gefesselt, um es uns unmöglich zu machen, uns zu wehren. Er trat, während die andern mit Lämpchen leuchteten, in die Ecke, wo die Stricke lagen und den Boden bedeckten; sie wurden weggeräumt, worauf man auch den darunterliegenden Sand eine Hand hoch entfernte. Da kamen einige Bretterstücke, und unter ihnen, als man sie weggenommen hatte, ein Loch mit abwärtsführenden Stufen zum Vorschein. Wir stiegen ab und gelangten in einen großen, weiten Raum, welcher von einer solchen Menge von Schmuggelwaren angefüllt war, daß ich mich vor Erstaunen fast kaum zu fassen wußte. Da hingen, lagen oder standen – – –“
    „Bitte, erlaube mir!“ unterbrach ich ihn. „Wie hoch war dieser Raum?“
    „Vielleicht vier Fuß über Manns hoch“, antwortete er.
    „Du wirst es nicht mehr wissen, aber es wäre mir interessant zu erfahren, wieviel Stufen hinabgeführt haben.“
    „Das weiß ich zufällig noch ganz genau. Als ich in das Loch steigen mußte und die dunkle Tiefe unter mir sah, dachte ich, daß da unten unser Gefängnis liege, in welchem man uns umkommen lassen wolle. Ich war entschlossen, in diesem Fall alles mögliche zu unserer Rettung zu unternehmen, und weil die Treppe dabei von Bedeutung war, zählte ich die Stufen. Es waren achtzehn.“
    „Waren sie von gewöhnlicher Höhe?“
    „Ja. Ich glaube, es werden in den hiesigen Häusern sechs Treppenstufen auf eine Zär-i-Schahi (königliche Elle) gerechnet.“
    „Richtig! Die Zär-i-Schahi hat hundertzwölf Zentimeter. Wenn der Raum vier Fuß über Manns hoch gewesen ist, muß die Decke neunzig bis hundert Zentimeter dick gewesen sein. Der Abstand zwischen den beiden Fußböden oben im

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