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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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mir so gegenwärtig, als ob ich noch jetzt darin läge. Er war lang und schmal und nicht viel mehr als mannshoch.“
    „Also ursprünglich kein Gemach, sondern ein Gang.“
    „Du kannst recht haben, denn die nackten Wände, welche aus Ziegeln bestanden, waren leer und nur in einer Ecke lagen einige Werkzeuge und ein Haufen Stricke.“
    „Gab es eine Tür?“
    „Nein.“
    „Ich kann mir das nicht denken, denn es steht zu vermuten, daß dieses Gelaß nur das Vorgemach zu anderen und größeren Räumlichkeiten war.“
    „Das ist allerdings richtig, obwohl ich, im eigentlichen Sinne gemeint, nicht von einer Tür sprechen kann. Ich werde das später erklären; jetzt muß ich dir erzählen, was der Säfir zu mir gesagt hat.“
    „Der Säfir? Dieses persische Wort bedeutet ‚Gesandter‘. Woher kennst du diese Bezeichnung?“
    „Er wurde von den andern so genannt. Sein Aussehen war fast furchterweckend, und zwar wegen einer feuerroten Narbe, welche auf der Stirn begann und über die linke, leere Augenhöhle und die Wange bis herunter zur Spitze des Mundes reichte und dort den langen Schnurrbart in zwei ungleiche Hälften schied. Der Hieb, welcher ihm diese Narbe brachte, hatte ihm das Auge geraubt. Der Anzug, den er trug, war – – –“
    „Der tut nichts zur Sache“, unterbrach ich ihn, „denn die Kleidung kann jederzeit gewechselt werden. Wie war seine Gestalt? Und hatte er sonst etwas Auffälliges an sich?“
    „Er trug nur Schnurrbart. Seine Gestalt war nicht hoch, aber sehr breit und ungewöhnlich kräftig, und seine Stimme hatte einen schnarrenden Klang. Auch sah ich, daß er die Gewohnheit hatte, die Haare des Schnurrbartes sehr oft über die Lücke desselben zu streichen. Warum fragst du nach solchen Merkmalen?“
    „Weil das in meiner Gewohnheit liegt. Ich pflege auf meinen Reisen den geringsten Umstand zu beachten und habe sehr häufig die Erfahrung gemacht, daß Kleinigkeiten, welche andern entgehen würden, mir, wenn ich sie im Gedächtnisse behalten hatte, später großen Nutzen brachten. Dieser Säfir muß mich schon an sich und auch deinetwegen interessieren; aber wir gehen nach Persien, und da auf Erden nichts unmöglich ist, kann es die Schickung fügen, daß ich ihm dort einmal begegne. Auch will ich mit Halef nach dem Birs Nimrud reiten, und da ist es – – –“
    „Das wollt Ihr? Wirklich, wollt ihr das?“ fiel er schnell ein.
    „Ja. Zwar habe ich nicht den mindesten Grund, anzunehmen, daß wir den Säfir dort sehen werden, aber er steht in meiner Phantasie nun einmal mit dem Turm zu Babel in Beziehung und darum möchte ich so gut wie möglich über seine Person unterrichtet sein.“
    „Habt ihr vielleicht die Absicht, den Turm zu untersuchen?“
    „Wenn sie sich nicht noch einstellt, bis jetzt hatten wir sie noch nicht.“
    „So laßt euch auch nicht gelüsten, es zu tun, denn dieser Gedanke könnte für euch höchst gefährlich werden! Ich weiß, was mir mein damaliger Besuch des Turmes gebracht hat, und wenn es mir auch unbekannt ist, ob er dergleichen Gesindel jetzt noch birgt, so sagt mir doch eine innere Stimme, daß ich euch warnen soll. Vor allen Dingen hütet euch, aus meiner Erzählung die Veranlassung zu ziehen, dort nachzuspüren, weil mir das den angedrohten Tod bringen könnte! Ich spreche nicht darum zu euch, daß ihr meine Erlebnisse verfolgen sollt, sondern nur um deinen Rat zu holen.“
    „Was diese Warnung und diesen Wunsch betrifft, so kann ich dir versichern, daß du keine Veranlassung hast, um dich oder uns beunruhigt zu sein. Wir wissen dein Vertrauen zu schätzen und werden nichts tun, was dir schaden könnte.“
    „Das beruhigt mich. Ihr dürft mir meine Besorgnis nicht übelnehmen, denn die Gefahr, welcher wir damals nur mit Not und durch die Ablegung des Eides entgingen, ist für uns ganz in derselben Größe auch noch heut vorhanden.“
    „Es kann uns nicht einfallen, deine Worte anders zu nehmen, als sie gemeint sind. Sprich getrost davon weiter, was ihr im Birs Nimrud erlebt habt!“
    „Der Säfir sprach eine Weile persisch mit seinen Leuten, wobei er uns von Zeit zu Zeit bald höhnische und bald grimmige Blicke zuwarf oder uns verächtliche Fußtritte versetzte. Meine Frau und ihr Vater hatten mir von dieser Sprache nur soviel beigebracht, daß ich mich ihrer gebrochen bedienen konnte; darum verstand ich auch jetzt nur wenig von dem, was gesprochen wurde, zumal diese Kerle außerordentlich schnell redeten; aber es kam auch dieses Mal sehr

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