20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
die Maultiere der beiden Snuffles haben; da kann ich reiten, während ich sonst laufen müßte.“
„Die Maultiere nehmen wir nicht mit.“
„Nicht? – Aber warum denn nicht?“
„Um die Indianer zu täuschen. Sie sollen denken, daß die Snuffles allein hier gewesen sind.“
„Werden sich hüten!“
„O doch! Die Snuffles wissen, daß sie verloren sind, wenn ich sie nicht rette; es wird ihnen also nicht einfallen, zu verraten, daß noch jemand bei ihnen gewesen ist. Die Roten werden freilich nachforschen und dabei die Maultiere und die Flinten der Snuffles finden. Hierauf werden sie überzeugt sein, daß die Brüder wirklich allein waren, denn wenn noch jemand bei ihnen gewesen wäre, der hätte die Tiere und Gewehre gewiß fortgeschafft.“
„Ah, das ist freilich pfiffig! Aber die Indianer werden unsere Spuren sehen!“
„Nein, denn die sind bis morgen früh undeutlich geworden. Und selbst wenn sie noch zu sehen wären, würden die Roten nicht weiter forschen, nachdem sie die Maultiere gefunden haben.“
„Ob sie aber wirklich hierherkommen und sie finden?“
„Hierher? Es fällt mir ganz und gar nicht ein, sie grad hierher zu locken, denn da würden sie allerdings erfahren, daß mehr als nur zwei Menschen hier gewesen sind. Das Gras und Moos ist hier so fest niedergedrückt, daß es sich bis morgen früh unmöglich ganz wieder erheben kann. Nein. Wir schaffen die Tiere fort, an einen Ort, wo sie leicht zu finden sind. Und dabei sollt Ihr mir helfen, wenn Ihr wollt.“
„Natürlich will ich. Welcher Ort wird das wohl sein?“
„Tim Snuffle ist von der Höhe gerutscht. Die Roten werden also zunächst da oben suchen. Dort binden wir die Tiere an.“
„Wann? – Früh?“
„O nein, denn da würden die Spuren bemerkt, welche wir dabei machen.“
„So müssen wir sie jetzt hinschaffen; da vergehen die Spuren bis morgen früh.“
„Richtig! Das werden wir tun. Aber Ihr seid gefesselt gewesen. Wird das Gehen Euch nicht Schmerzen machen?“
„O nein, denn Ihr habt mich nicht in der Weise gebunden gehabt, wie die Indianer dies zu tun pflegen.“
„So wollen wir nicht säumen, sondern gleich an das Werk gehen. Mr. Dschafar ist nicht gewöhnt, des Nachts durch den Wald zu gehen; er wird also hierbleiben und auf uns warten.“
Wir banden jedem der beiden Maultiere eines der Gewehre an das Sattelzeug und führten sie dann fort. Ich ging natürlich voran und Perkins folgte mir. In der Nähe der Stelle angelangt, wo Tim abgerutscht war, banden wir die Tiere an und kehrten dann zu Dschafar zurück, welcher nicht nur über seine Befreiung entzückt war, sondern sich auch darüber freute, daß er sein Pferd wieder hatte.
„Ich wollte, es wäre das meinige“, sagte Perkins, „denn nun muß ich laufen.“
„Seid Ihr denn ein guter Läufer?“ erkundigte ich mich.
„Leider nicht.“
„So gebe ich Euch mein Pferd, und ich gehe.“
„Das wolltet Ihr wirklich?“
„Ja.“
„Ich bin Euch sehr dankbar dafür; aber ist es nicht unvorsichtig von Euch, Mr. Shatterhand?“
„Warum unvorsichtig?“
„Weil Ihr vorhin sagtet, daß Ihr mir Euer Vertrauen nicht gleich schenken könntet.“
„Was hat das mit der Unvorsichtigkeit zu tun?“
„Wie leicht kann ich Euch durchgehen, wenn ich reite, während Ihr lauft!“
„Pshaw! Ich brauchte nur zu pfeifen, so würde mein Pferd trotz aller Reitkünste mit Euch zu mir zurückkehren. Es hat indianische Dressur. Und wenn dies auch nicht der Fall wäre, so würde Euch meine Kugel sofort vom Pferd holen. Old Shatterhand weiß stets, was er wagen darf oder nicht. Jetzt wollen wir aufbrechen.“
Wir führten unsere Pferde, in der vom Fluß abgewendeten Richtung aus dem Wald hinaus. Als wir in das Freie gelangt waren, stiegen Dschafar und Perkins auf, um mir, der ich den Führer machte, zu folgen.
Hier war es heller als im Wald. Die Sterne schienen, und es gab also keinen Zweifel darüber, wohin ich die Schritte zu lenken hatte.
Längere Zeit hatte jeder mit seinen Gedanken zu tun; dann sagte Perkins, indem er das Schweigen unterbrach:
„Ihr wißt also genau, wohin es geht, Sir. Dürfen wir es auch erfahren?“
„Natürlich! Nach einer Anhöhe, welche von den Comanchen Makik-Natun genannt wird. Dort wollen sie bei den Gräbern ihrer Häuptlinge die Gefangenen töten. Heute war nichts mehr zu machen; ich hoffe aber, ihnen morgen die Gefangenen zu entreißen.“
„Auf welche Weise?“
„Das weiß ich jetzt noch nicht; der Augenblick muß es
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