20 Science Fiction Stories
Besteh, um Himmels willen, nicht darauf!
Zu seinem Erstaunen kletterte er jetzt am Betonsockel der Statue empor. Sein Atem flog – und er sah, daß er viel einfacher ein paar weitere Stufen hätte hochgehen können –, aber er mußte wohl so vorgehen, wie er es tat. Oben angelangt, fuhr er mit der Hand über die Flanken des Tieres. Die Oberfläche war glatt und kalt und hart, wie man es von den Muskeln eines Löwen erwartete, und lohfarben.
Er machte einen Schritt vorwärts. Großer Gott! Diese Kraft! Diese Würde! Kam sie vom Stein? Nein, ganz sicher nicht! Viele Leute ließen sich täuschen – aber nicht Herr Minchell. Er wußte Bescheid! Dieser Löwe war keine bloße Dekoration. Es war ein Tier von tödlicher Schläue, phantastischer Stärke und Wildheit. Und es bewegte sich nicht, weil es sich nicht bewegen wollte. Es wartete. Eines Tages würde es sehen, worauf es wartete, seinen Feind, der die Straße heraufkam. Und dann gebt acht! Er erinnerte sich jetzt an die ganze Geschichte. Von allen Menschen auf der Erde kannte nur er, Henry Minchell, das Geheimnis des Löwen. Und nur er allein durfte auf dem mächtigen Rücken reiten.
Er trat auf den Schwanz, zögerte, schluckte und schwang sich mit einem Satz nach vorn auf den gebogenen Rumpf.
Zitternd rutschte er weiter, bis er über den Schultern direkt hinter dem erhobenen Haupt saß.
Sein Atem ging sehr schnell.
Er schloß die Augen.
Aber bald hatte er sich beruhigt, und es drang ihm die heiße, stinkende Luft des Dschungels in die Nase. Er fühlte, wie die gewaltigen Muskeln unter ihm unruhig spielten. Er lauschte auf das Rascheln von Blättern und Buschwerk und flüsterte:
»Ruhig, mein Guter.«
Die heranschwirrenden Pfeile erschreckten ihn nicht. Er saß hochaufgerichtet und hielt sich an der vollen roten Mähne – der Wind zerrte an seinen Haaren …
Dann öffnete er die Augen.
Vor ihm erstreckte sich die Stadt mit ihren Menschen und Lichtern. Er wollte nicht weinen, denn er wußte, daß siebenundvierzigjährige Männer das nicht taten, auch dann nicht, wenn sie unsichtbar waren – aber er konnte sich nicht dagegen wehren. Und so hockte er hoch oben auf dem Steinlöwen, senkte den Kopf und weinte.
Zuerst hörte er das Gelächter nicht. Und dann glaubte er zu träumen. Aber es war Wirklichkeit: Jemand lachte.
Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, klammerte er sich an ein Ohr von König Richard und lehnte sich vor. Er blinzelte. Einige Meter unter ihm standen Menschen. Junge Menschen. Manche trugen Bücher. Sie blickten zu ihm auf und lachten.
Herr Minchell rieb sich die Augen.
Einer der Jungen winkte und rief:
»Hoppe, hoppe, Reiter!«
Herr Minchell verlor fast das Gleichgewicht. Dann verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen.
»Ihr … seht mich?« fragte er.
Die jungen Leute tobten.
»Wahrhaftig!« Herr Minchell stieß einen lauten Jauchzer aus und umarmte König Richards zottige Steinmähne.
Unten blieben die Passanten stehen. Sie starrten fassungslos zu ihm hoch.
Eine Frau im grauen Pelzmantel kicherte.
Ein dünner Mann in einem blauen Anzug brummte etwas über die verdammten Exhibitionisten.
»Halten Sie den Mund«, fuhr ihn ein anderer an. »Wenn der Bursche den gottverdammten Löwen reiten will, so ist das seine Sache.«
Ein Gemurmel machte sich breit.
Der Mann, der zu dem anderen gesagt hatte, er solle den Mund halten, war ziemlich klein und trug eine schwarzrandige Brille. Er wandte sich zu Herrn Minchell um und rief: »Wie ist es?«
Herr Minchell grinste. Irgendwie hatte man ihm eine Chance gegeben. Und diesmal wußte er, was er damit anfangen würde. »Prima!« schrie er zurück; er stellte sich aufrecht auf König Richards Rücken und schwenkte seine Melone. »Kommen Sie herauf!«
»Kann nicht«, sagte der Mann.
»Habe eine Verabredung.« In seinen Augen lag höchste Bewunderung. Dann drehte er sich noch einmal um, hielt die Hände wie ein Sprachrohr vor den Mund und rief: »Ich werde Sie wiedersehen!«
»Jawohl!« antwortete Herr Minchell und fühlte den kalten frischen Wind auf dem Gesicht. »Sie werden mich wiedersehen.«
Dann stieg er von dem Löwen herab.
Daniel F. Galouye Zuflucht
Hastig stolperte Lois vorwärts; in der Kurve verlor sie das Gleichgewicht, rappelte sich wieder hoch und tauchte im Schatten des nächsten Häuserblocks unter.
Geschützt vor dem gelben Licht, das wie ein Nebel über einer Ecke lag, verlangsamte sie ihre Schritte und warf einen verzweifelten Blick zurück.
Ihr
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