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20 Science Fiction Stories

20 Science Fiction Stories

Titel: 20 Science Fiction Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse
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selbst als kleinen Jungen, wie er Tarzan und Wells gelesen hatte; als Studenten, der gern unterrichten wollte, und wie er Madge begegnet war; dann, wie er alle Pläne aufgesteckt hatte, wie Madge sich allmählich veränderte und er alle Träume beiseite schob und begrub. Für später. Für den rechten Zeitpunkt. Und dann Jimmy – kleiner fremder Jimmy, der Bleistifte in den Mund steckte, in der Nase bohrte und vor dem Fernsehgerät hockte, der niemals Bücher las, niemals; Jimmy, sein Sohn, den er nie verstehen würde … Er ging jetzt am Park entlang. Dann durch den Park, durch ein Labyrinth vertrauter und fremder Straßen und Gäßchen. Er ging, erinnerte sich, blickte die Leute an und spürte einen starken Schmerz, denn er wußte, daß sie ihn nicht sehen konnten, nicht jetzt – nie mehr, denn er war verschwunden – unsichtbar. Er ging, erinnerte sich und weinte.
    Alle die verbannten Träume kamen zurück. Die geplante Reise nach Italien. Der offene Sportwagen, ohne Rücksicht auf schlechtes Wetter. Das Wissen, das ihn befähigt, zu sagen, ob er Stierkämpfe für gut hielt oder ob er sie ablehnte. Das Buch …
    Dann fiel ihm etwas anderes ein. Er wurde sich bewußt, daß er nicht ganz plötzlich verschwunden war, nicht einfach so! Nein! Seit langem war er ganz allmählich, nach und nach verschwunden. Mit jedem Morgen, an dem er diesem Bastard Diemel einen guten Morgen wünschte, war er ein bißchen weniger zu sehen. Jedesmal, wenn er in diesen furchtbaren Anzug stieg, verblaßte er ein bißchen mehr. Der Prozeß des Verschwindens vollzog sich jedesmal, wenn er sein Gehalt nach Hause trug und Madge aushändigte, jedesmal, wenn er sie küßte oder ihre weinerlichen, nie endenden Klagen und Vorwürfe anhörte, jedesmal, wenn er sich entschloß, diesen oder jenen Roman doch nicht zu kaufen, wenn er der Addiermaschine, die er so haßte, einen Stoß versetzte oder … Ganz bestimmt.
    Für Diemel und die anderen im Büro war er schon vor Jahren verschwunden. Jetzt konnten ihn selbst Madge und Jimmy nicht mehr sehen. Und er selbst konnte sich kaum noch im Spiegel erkennen.
    Es erschien ihm alles sehr logisch. Warum sollte man nicht verschwinden? Es gab keinen vernünftigen Grund dagegen. Keinen einzigen. Und das machte die Sache auf eine ganz bedrückende Art so selbstverständlich und klar wie eine perfekte Rechnung.
    Dann dachte er daran, wie er am nächsten Tag und dem darauffolgenden wieder zur Arbeit ginge. Natürlich mußte er das tun. Er konnte doch Madge und Jimmy nicht verhungern lassen; und außerdem – was sollte er sonst tun? Es war nicht so, als hätte sich etwas äußerst Wichtiges verändert. Er würde weiterhin nach der Uhr leben, würde den Leuten, die ihn gar nicht sahen, einen guten Morgen wünschen, er würde die Zahlenlisten durchgehen und erschöpft nach Hause kommen; alles war so wie vorher, und eines Tages würde er sterben, und alles war vorbei. Plötzlich fühlte er sich todmüde.
    Er setzte sich auf eine Steintreppe und seufzte. Undeutlich stellte er fest, daß er wieder bei der Bücherei angelangt war. Er saß einfach da, beobachtete die Menschen und fühlte, wie sich eine bleierne Müdigkeit in ihm ausbreitete.
    Dann blickte er auf.
    Über ihm ragte schwarz und königlich der gewaltige Steinlöwe in den Himmel. Sein Mund stand offen, und der große Kopf war stolz erhoben.
    Herr Minchell lächelte. König Richard. Erinnerungen durchfuhren ihn: König Richard, mein Gott – soweit ist es nun mit uns beiden gekommen.
    Er sprang auf. Wenigstens fünfzigtausendmal war er an dieser Stelle vorbeigekommen, und jedesmal hatte er sich gewünscht, auf König Richard zu reiten. Jetzt war dieses Verlangen stärker, stärker als je zuvor. Drängend!
    Er rieb sich das Kinn und blieb mehrere Minuten lang stehen. Einfach lächerlich, dachte er, ich muß übergeschnappt sein, das erklärt alles. Aber, so fragte er sich, selbst wenn das der Fall wäre – warum sollte ich es eigentlich nicht tun?
    Schließlich bin ich unsichtbar. Niemand kann mich sehen. Natürlich hätte es nicht auf diese Weise zu geschehen brauchen. Ich weiß nicht recht, fuhr er in seinen Gedanken fort, das heißt, ich glaubte, das Richtige zu tun. Wäre es richtiger gewesen, zurück zur Universität zu gehen und Madge sausen zu lassen? Das könnte ich doch nicht ändern, oder? Hätte ich dagegen irgend etwas machen können, selbst wenn ich es gewußt hätte?
    Traurig nickte er mit dem Kopf.
    Schon gut, aber mach es nicht noch schlimmer.

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