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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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nicht. Wir hörten, wie ein Schloss klickte, ein Riegel zurückgeschoben wurde, dann öffnete sich die Tür und zwei Männer traten ein.
    Der eine war untersetzt, aber muskulös gebaut, mit breiten Schultern und starken Gliedmaßen. Auf dem kräftigen Kopf saß reichlich schwarzes Haar; ein dicker Schnurrbart und ein lebhafter Blick machten das Gesicht auffällig. Ich hätte ihn unter normalen gesellschaftlichen Umständen für einen Provençalen gehalten.
    Der andere verdient eine ausführlichere Beschreibung. Gratiolet- und Engelschüler hätten in seinen Gesichtszügen wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen können. Ich erkannte sofort seine hervorstechenden Eigenschaften: Selbstvertrauen (denn der Kopf erhob sich nobel über dem Bogen seiner Schultern und seine schwarzen Augen blickten kalt und sicher), Gelassenheit (denn seine kaum gefärbte bleiche Haut zeigte den ruhigen Fluss seines Blutes an), Energie (denn die Bewegung seiner Augenlider vollzog sich sehr rasch) und Mut (denn seine tiefen Atemzüge verrieten eine starke Vitalität).
    Ich muss hinzufügen, dass er einen stolzen Eindruck machte, dass es schien, als spiegle sein fester und ruhiger Blick erhabene Gedanken, und dass die gesamte Gestalt, das Übereinstimmen der Körperbewegungen mit den Gesichtszügen, eine unbestreitbare Offenheit ausstrahlte. Wider Willen fast fühlte ich mich in der Nähe dieses Mannes sicher und war gespannt, was unsere Unterredung ergeben würde. Ich konnte nicht sagen, ob er 35 oder 50 Jahre alt war. Er war groß, besaß eine hohe Stirn und eine gerade Nase, einen klar gezeichneten Mund, wunderbare Zähne und lange schmale Hände, die ein Kenner als eminent »psychisch« bezeichnet hätte, also würdig, Ausdrucksmittel einer hohen und leidenschaftlichen Seele zu sein. Dieser Mann war sicher die bewundernswerteste Persönlichkeit, der ich je begegnete. Seine Augen standen etwas weiter als gewöhnlich voneinander ab, sodass er, wovon ich mich später überzeugte, einen Horizontausschnitt von fast 90° auf einmal erfasste. Seine Sehkraft übertraf dabei noch die des Kanadiers, und wenn es galt, einen Gegenstand ins Auge zu fassen, zogen sich seine Brauen zusammen, die Lider engten das Gesichtsfeld um die Pupillen herum ein und dann schaute er … Welch ein Blick! Wie er die weit entfernten Dinge vergrößerte und genau ansah! Wie einem dieser Blick bis in die Seele drang! Wie er die dunklen Gewässer durchschaute und die Schrift des uns verhüllten Meeresbodens las … !
    Die Kleidung der beiden war weit geschnitten, sodass man sich frei in ihr bewegen konnte, auf dem Kopf trugen sie Mützen aus Seeotterfell, ihre Beine staken in Robbenfellstiefeln.
    Der große prüfte uns eindringlich und schweigend eine lange Zeit, dann wandte er sich an seinen Gefährten und redete mit ihm in einer unverständlichen, aber wohllautenden Sprache. Der Untersetzte schüttelte den Kopf, sagte einige unverständliche Worte zum Anführer und wandte sich dann offenbar mit einer Frage an mich.
    Ich erwiderte in klarem Französisch, dass ich ihn nicht verstehe. Das schien er nicht zu begreifen und sah mich ratlos an. Da schlug Conseil vor, ich solle unsere Geschichte erzählen, vielleicht seien den Fremden einige Worte daraus bekannt.
    Ich sprach ganz langsam und artikuliert, erzählte kurz von unserem Unfall und stellte jeden von uns dann mit Namen und Berufsangaben vor.
    Der Große hörte gelassen, höflich und aufmerksam zu, erwiderte jedoch kein Wort. Seinen Zügen war nicht zu entnehmen, ob er mich verstanden hatte. Ich wandte mich deshalb an Ned Land und sagte: »Jetzt sind Sie an der Reihe, Meister. Holen Sie Ihr Sonntagsenglisch aus dem Gedächtnis und erzählen Sie das Gleiche noch einmal.«
    Land ließ sich nicht lange bitten, im Gegenteil, er legte mit großer Lebhaftigkeit los, erzählte unsere Geschichte ähnlich wie ich und beschwerte sich dann, dass man uns wider das Völkerrecht gefangen genommen habe, fragte nach dem Gesetz, welches ein derartiges Vorgehen erlaube, zitierte die Habeas-Corpus-Akte und drohte mit gerichtlicher Verfolgung. Seine letzter Vorwurf war der, dass wir bald hungers sterben würden.
    Aber der Kanadier wurde anscheinend nicht besser verstanden als ich. Was tun? Unsere Sprachkenntnisse waren damit erschöpft.
    Da meldete sich Conseil und sagte: »Wenn Monsieur erlaubt, möchte ich gern mal mit dem Herrn dort deutsch reden.«
    »Du sprichst Deutsch?«
    »So gut wie jeder Flame.«
    Conseil brachte also unsere

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