20.000 Meilen unter den Meeren
Steward verließ auf einen Wink des Kommandanten die Kabine. Er war dem Ersticken nahe gewesen, zeigte mit seiner Miene aber nicht im Mindesten, wie sehr er den Kanadier nach diesem Überfall hassen musste. Unterdessen stand der Kommandant mit verschränkten Armen an die Tischkante gelehnt und beobachtete uns. Er schwieg sehr lange und wir konnten bereits fürchten, er bereue die gesprochenen Worte, da redete er von Neuem, gelassen und eindringlich sprechend : »Messieurs, ich spreche Französisch, Englisch, Deutsch und Latein, ich hätte Ihnen also längst antworten können. Aber ich wollte erst wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ihrer vierfachen Erzählung nach also mit Professor Pierre Aronnax vom Pariser Museum, seinem Diener Conseil und mit dem Kanadier Ned Land, Harpunier auf der Fregatte Abraham Lincoln.«
Die Leichtigkeit, mit der er sprach, faszinierte mich. Er hatte keinen Akzent, er wählte die richtigen Ausdrücke, aber dennoch hatte ich das Empfinden, dass er nicht Franzose sei.
»Sie entschuldigen, dass ich mit meinem zweiten Besuch so lange gewartet habe. Ich wusste nicht, was ich mit Ihnen anfangen soll. Ich konnte mich lange nicht entschließen. Bedauerliche Umstände haben Sie in die Nähe eines Mannes gebracht, der mit der Menschheit gebrochen hat. Es tut mir leid, aber Sie stören ihn durch Ihre Existenz …«
»Ohne es zu wollen!«, warf ich ein.
»Ohne es zu wollen?«, fragte er spöttisch. »Die Abraham Lincoln hat mich also ganz zufällig aufgebracht? Sie sind ganz gegen Ihren Willen an Bord dieses Schiffes gewesen? Dessen Geschosse sind aus Versehen auf meinem Fahrzeug aufgeschlagen? Ned Land hat mich wider Willen getroffen?«
»Aber hören Sie, Monsieur! Sie wissen wahrscheinlich, welche Gerüchte über dieses Fahrzeug in der Alten und der Neuen Welt in Umlauf sind. Sie wissen, dass eine Reihe von Unfällen, die Sie verursacht haben, die Öffentlichkeit erregt hat. Und Sie wissen zweifellos, dass die Besatzung der Abraham Lincoln glaubte, ein riesenhaftes See-Ungeheuer zu verfolgen, von dem die Weltmeere gereinigt werden mussten.«
»Sie werden wohl nicht behaupten wollen, dass Ihre Fregatte sich anders verhalten hätte, wenn bekannt gewesen wäre, dass es sich bei dem Ungeheuer um ein Unterseeboot handelte!?«
Darauf ließ sich schlecht etwas erwidern, denn selbstverständlich hätte Farragut danach getrachtet, seinen Säuberungsauftrag auf jeden Fall durchzuführen.
»Sie können sich also denken, dass ich Sie wie meine Feinde behandeln muss«, fuhr der Große fort. »Ich war zu keinerlei Gastfreundschaft verpflichtet. Ich hätte Sie wieder auf die Plattform bringen lassen können, bevor ich tauchte. Sie wären ertrunken, vergessen. Wäre das nicht mein Recht gewesen?«
»Das Recht eines Wilden vielleicht, aber nicht eines zivilisierten Menschen«, sagte ich.
»Mein Herr Professor, ich bin kein zivilisierter Mensch«, antwortete er heftig. »Ich habe mich von der Gesellschaft der Menschen losgesagt. Die Gründe dafür kann nur ich beurteilen. Die Regeln, die bei Ihnen gelten, sind mir völlig gleichgültig, deshalb unterlassen Sie es, sich darauf zu berufen.«
Das war deutlich. Die Verachtung, mit der er uns maß, ließ eine furchtbare Vergangenheit im Leben dieses Mannes vermuten. Mir schoss die Erkenntnis durch den Kopf, dass er sich nicht nur von den Menschen der Erde gelöst hatte, sondern auch völlig unerreichbar für sie war. Wer sollte ihn auf dem Grunde des Meeres verfolgen, um die Urteile, die auf der Erde über ihn gefällt worden waren, an ihm zu vollstrecken? Er war unverwundbar, unbesiegbar. Gott, wenn er an ihn glaubte, und sein Gewissen, wenn er eines besaß, waren seine einzigen Richter.
Nach einer langen Pause, während der er uns mit verschränkten Armen gerade in die Augen sah, sprach er weiter: »Ich habe geschwankt. Und dann hat das natürliche Mitgefühl gesiegt, auf das jedes menschliche Wesen einen Anspruch hat. Das Schicksal hat Sie an Bord meines Schiffes verschlagen. Sie sollen also hierbleiben und Sie sollen hier auch verhältnismäßig frei sein. Für die Gewährung dieser Freiheit verlange ich jedoch ein Versprechen von Ihnen.«
»Wenn ein Ehrenmann es geben kann, gern.«
»Durchaus. Es ist möglich, dass gewisse Ereignisse mich nötigen, Sie für Stunden oder Tage in Ihrer Kabine einzuschließen. Ich möchte Gewaltanwendung vermeiden und erwarte deshalb Gehorsam bei einem solchen Befehl. Ich möchte Sie mit dieser Maßnahme einer gewissen
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