20.000 Meilen unter den Meeren
deshalb übernehme ich selbst das Steuer. Wollen Sie ins Steuerhaus mitkommen?«
»Aber mit dem größten Vergnügen.«
»Dann kommen Sie. Von dort aus können Sie alles sehen, was es bei dieser zugleich unterirdischen und unterseeischen Fahrt zu sehen gibt.«
Wir stiegen die Mitteltreppe nur halb hinab. Er öffnete eine Tür zur Seite und hieß mich eintreten. Es ging durch den oberen Gang bis in die kleine Kabine des Steuermanns, die vor dem Scheinwerfergehäuse lag. Sie war 2 m x 2 m groß und besaß vier Luken mit Linsengläsern, welche eine Rundumsicht ermöglichten. In der Mitte befand sich das große Steuerrad. An diesem Steuerrad stand ein kräftiger Mann, der in der nächsten Stunde jeden Wink des Kapitäns in Kurskorrekturen umsetzte. Durch elektrische Signale verkehrte Nemo von hier aus mit dem Maschinenraum. Er ließ jetzt die Geschwindigkeit drosseln und fuhr sehr langsam nur wenige Meter von einer Felswand entfernt, nach Kompass und nach Gefühl.
Um 22.15 Uhr trat der Kapitän selbst ans Steuer und ich hörte ein zunehmendes Brausen von außen. Vor uns lag jetzt die Öffnung einer schmalen dunklen Galerie. Nemo ließ seine Maschine mit voller Kraft rückwärts laufen, um nicht vom Sog in diesem Tunnel überwältigt und an die Wände geschleudert zu werden. Trotz dieser Anstrengungen war die Nautilus schneller als je zuvor und ich sah nur noch gerade Linien, schimmernde Striche und Feuerstreifen, wenn ich hinausblickte. Mein Herz klopfte so stark, dass ich mir an die Brust griff.
Um 22.35 Uhr trat der Kapitän vom Steuer zurück und sah mich an: »Das Mittelmeer«, sagte er, etwas müde.
18. Kapitel
Am 12. Februar, mit Tagesanbruch, tauchten wir auf. 3 sm südlich im Dunst die afrikanische Küste. Gegen sieben Uhr erschienen auch Ned Land und Conseil auf der Plattform. Der Kanadier brauchte lange, bis er davon überzeugt war, dass wir uns im Mittelmeer befanden. Dann aber hatte er nur noch einen Gedanken: Flucht. Ich brauchte eine gute Stunde für die Diskussion mit ihm und sie endete damit, dass Ned Land darauf bestand, bei der nächsten Gelegenheit schwimmend oder mit dem Boot an Land zu entfliehen.
Ich konnte ihn nicht ernstlich daran hindern, denn es war nur natürlich, dass er an dieser Fahrt nicht das gleiche Vergnügen fand wie ich. Aber ich fürchtete, dass der Kapitän uns einen Fluchtversuch, den er vereiteln konnte, sehr übel nehmen würde. Deshalb brauchten wir gleich beim ersten Mal vollen Erfolg. Deshalb musste die Gelegenheit besonders günstig sein. Und deshalb sollten wir ruhig noch ein bisschen warten …
War Nemo misstrauisch geworden? Er fuhr die nächsten Tage fast nur unter Wasser und er hielt sich weitab von den Küsten.
Am 14. Februar näherten wir uns der Insel Kreta und aus irgendeinem Grund blieben die Fenster im Salon zunächst geschlossen. Als wir uns auf der Abraham Lincoln eingeschifft hatten, war der Aufstand gegen die Türkenherrschaft auf dieser Insel gerade losgebrochen. Ich hatte mit dem Kapitän nie über diese Erhebung gesprochen, da ich ihn von allen Nachrichten der Oberwelt abgeschnitten wähnte.
Gegen Abend kam er herunter in den Salon, ging schweigend auf und ab und ließ sorgfältig die Wände von den Fenstern zurückgleiten. Sorgfältig spähte er zuerst durchs eine, dann durchs andere. Ich benutzte die Zeit der Öffnung, um mir wieder einige Notizen über die Fische zu machen, die ich hier antraf.
Plötzlich fuhr ich erschrocken vom Fenster zurück. Vor der Scheibe zeigte sich die Gestalt eines Mannes, aber das war keine Wasserleiche, sondern ein lebendiger Körper, ein Taucher mit einem Gurt um die Hüften. Er ruderte kräftig mit den Armen, verschwand bisweilen nach oben und kehrte dann wieder zurück. Ich drehte mich zum Kapitän um und merkte, dass er dicht hinter mir stand.
»Da! Ein Mann! Ein Schiffbrüchiger – den müssen wir retten!«
Nemo gab mir keine Antwort, sondern trat ans Fenster. Der Mann kam jetzt auch von außen ganz nahe. Nemo gab ihm ein Zeichen mit der Hand. Der Taucher antwortete mit dem gleichen Zeichen, begab sich nach oben und kehrte nicht mehr wieder.
»Nur keine unnütze Aufregung«, sagte der Kapitän jetzt zu mir. »Dieser Mann ist auf den Kykladen überall bekannt und berühmt als der Taucher Nikolas. Er ist etwas amphibisch veranlagt, möchte ich sagen, denn er lebt fast mehr im Wasser als auf dem Land.«
»Sie kennen ihn?«
»Vielleicht.«
Der Kapitän ging jetzt zu einem Schrank neben dem linken Fenster des
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