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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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fürchtete er, wir würden einen Fluchtversuch unternehmen? Er durchraste dieses Meer jedenfalls, ohne sich aufzuhalten, in 48 Stunden, tauchte dabei nur einmal auf, und das nachts. Ich sah von diesen mir halbwegs vertrauten Gestaden weniger als der Passagier eines Eilzugs, der die Landschaft durchbraust, und von den Fischen konnte ich auch nur die schnelleren beobachten, die kräftig genug waren, ein Stück mit der Nautilus mitzuhalten. Am Abend des 16. überstiegen wir die seltsame Erhebung des Meeresbodens zwischen Sizilien und Tunis, auf deren Kamm das Meer nur 17 m tief ist. In der Nacht zum 17. Februar drangen wir in das zweite, das westliche Becken des Mittelmeeres ein, in dem Tiefen bis zu 3 000 m herrschen; da hinab tauchte die Nautilus und in Ermangelung großer Naturschauspiele ließ uns dieses Meer in seinen Bauch sehen: Schiffe lagen da am Grund, Wracks, furchterregende Trümmer längst vergessener Schiffskatastrophen: Masten, Kanonen, Anker, Kugeln, Eisengeräte, Maschinenteile, Zylinderbruch und Kesselstücke, Schiffsrümpfe unter Korallen und Rost.
    Es wurden immer mehr Trümmer, je näher wir der Meerenge von Gibraltar kamen, aber die Nautilus fuhr gleichgültig darüber hinweg, stieg mit dem Meeresboden an und gelangte mit der Unterströmung aus dem Mittelmeer durch die Straße von Gibraltar in den Atlantischen Ozean.

19. Kapitel
    Oh Meer, oh Atlantik, du 25 000 000 Quadratmeilen weites Wasser, unbekannt dem Griechen, kaum bekannt dem Römer, noch ungeheuer dem Karthager (dieser Vorform des Holländers), du langes Meer (9 000 sm) und du 2 700 sm mittelbreiter Ozean, heut schmücken dich Schiffsverkehr von aller Welt und Flaggen der Nationen, es münden unbeirrt in deine ungeheure Umfangslinie Ströme wie der Senegal, der Lorenz auch, der fernhin tragende Mississippi und der Niger, La Plata, Orinoko, Elbe, Rhein und die Loire und netzen deine prachtvollen Wasser mit den Gewässern der zivilisierten Länder der Erde und ihrer wildesten Gegenden, du Wasserschoß, der jetzt die Nautilus aufnimmt: Wohin mit uns und was sollen wir erleben? Unsere Reise war schon lang an Entfernungen: Mehr als 40 000 km unterwegs, das ist der Erdumfang; und mehr als 100 Tage, das ist lang an Zeit. Der Kurs war jetzt nördlich, auf das Cap de San Vicente zu, quer durch den Golf von Cadiz. Am Vormittag des 18. Februar trat oben auf der Plattform Ned Land zu mir heran und sagte scharf : »Ich muss Sie sprechen, Professor. In Ihrem Zimmer!« Ich wusste genau, was er sagen wollte, aber um kein Aufsehen zu erregen, ging ich hinab, er folgte einige Minuten später.
    Wir setzten uns in meinem Zimmer gegenüber und sahen uns schweigend an.
    »Meister«, sagte ich, »glauben Sie mir, ich verstehe …« So kam ich nicht weiter.
    »Also gut«, sagte ich, »auch ich habe mir Gedanken über unsere Flucht gemacht. Mich hat es ebenso geärgert wie Sie, dass wir im Mittelmeer fast nur unter Wasser und fern von allen Küsten gereist sind. Aber haben wir uns denn von den zivilisierten Ländern entfernt? Sie wissen doch, dass wir im Augenblick die spanische Küste entlangfahren, bald sind wir in Reichweite von Portugal, dann Frankreich, England …«
    Er reagierte überhaupt nicht, sondern starrte mich weiter mit zusammengekniffenen Lippen an. Schließlich machte er den Mund auf und sagte: »Heute Abend!«
    Das war doch stark. Ich nahm mich zusammen und versuchte, mein Erschrecken vor so viel Entschlossenheit zu verbergen. Ich wollte etwas sagen, aber es fiel mir einfach nichts mehr ein.
    »Abgemacht war eine günstige Gelegenheit«, sagte der Kanadier, indem er aufstand und ganz dicht vor mich trat. »Und die ist jetzt da. Heute Abend sind wir der spanischen Küste bis auf wenige Meilen nahe. Die Nacht wird dunkel sein. Der Wind wird günstig sein. Und Sie werden dabei sein, Herr Aronnax.«
    Ich wusste immer noch nicht, was ich antworten sollte.
    »Wir fliehen um 21 Uhr. Dann ist der Kapitän in seiner Kabine, schläft wahrscheinlich schon. Von der Mannschaft wird uns niemand entdecken. Sie warten in der Bibliothek, bis Sie ein Zeichen von mir bekommen. Das Boot ist bereits vorbereitet. Ich habe auch einige Lebensmittel hineingeschafft. Den Schraubenschlüssel zum Loslegen besitze ich seit einigen Tagen. Also heute am Abend.«
    Da sagte ich rasch: »Das Meer ist aber nicht günstig.«
    »Da haben Sie recht«, antwortete er ungerührt. »Aber Freiheit hat ihren Preis. Entweder sind wir um 23 Uhr an Land oder nicht mehr unter den Lebenden.

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