20.000 Meilen unter den Meeren
einfallen lassen, Monsieur.«
»Allerdings. Aber was?«
»Wenn die Nautilus stark genug wäre den Druck auszuhalten, könnte das die Rettung sein. Wahrscheinlich würde sie dann das Eisfeld von oben bis unten spalten, so wie sonst das gefrierende Wasser die härtesten Felsen sprengt.«
»Aber sie hält den Druck nicht aus.«
»Nein.«
»Sie würde platt werden wie ein Blech.«
»Das weiß ich selbst. Das brauchen Sie mir nicht erst noch zu erklären. Wir müssen uns selbst helfen, dann hilft uns die Natur. Die Vereisung geht auf allen Seiten voran, wir müssen uns nach allen Seiten wehren.«
»Wie lange können wir mit der Luft aus den Reservetanks noch atmen?«
»Bis übermorgen.«
Und dann stand der Mann unbeweglich da, schweigsam, er dachte nach. Auf seinem Gesicht sah man den Widerschein einer Revue von Ideen, die aber alle zurückgewiesen wurden. Plötzlich sprach er ein paar Worte und richtete sich auf.
»Kochendes Wasser«, sagte er.
»Wie bitte?«
»Kochendes Wasser. Wir sind in einem ziemlich engen Raum eingeschlossen. Wenn ich mit den Pumpen ständig kochendes Wasser hinausschleudern würde, müsste das die Temperatur erhöhen. Und die Vereisung aufhalten.«
»Man könnte es versuchen …«
»Fangen wir an!«
Er führte mich in die Küche, wo riesige Destilliergeräte Trinkwasser aus Meerwasser erzeugten. Die Rohrschlangen wurden mit Wasser gefüllt und elektrisch beheizt. In wenigen Minuten kochte das Wasser und wurde mit den Pumpen hinausgepresst; neues Wasser kam herein.
Drei Stunden später war das Thermometer bereits auf –6° gestiegen, zwei Stunden später lasen wir –4° ab. Während der Nacht stieg die Temperatur bis auf –1° (das Wasser konnte erst bei –2° gefrieren) und es blieb nur noch das Ersticken zu fürchten.
Am 27. März hieß die Rechnung: 6 m Eisdecke beseitigt, Rest 4 m = 48 Stunden. Die Luft an Bord war kaum noch zu atmen. Die Glieder wurden immer schwerer, eine physische und psychische Beklemmung griff in unseren Körpern Platz. Die Kinnladen waren durch Gähnen verrenkt, die Lungen arbeiteten unter Keuchgeräuschen, da die eingeatmete Luft sie füllte, aber wertlos war. Ich lag fast kraftlos auf dem Bett, in einem Dämmerzustand des Bewusstseins, und als ich Conseil sagen hörte: »Wie gern gäbe ich meine Luft für Monsieur!«, kamen mir die Tränen. Ich drängte mich wieder zur Arbeit vor Ort, meine Sehnsucht nach dem frischen Luftstrom aus den Atemgeräten trieb mich, und da es allen gleich ging, machte die Arbeit gewaltige Fortschritte.
Dennoch blieb niemand länger als die festgesetzte Zeit draußen, auch der Kapitän nicht. Widerspruchslos traten wir der keuchenden Ablösung unsere Ranzen mit dem Lebenselixier ab. Am Abend trennten uns noch 2 sm vom freien Meer. Aber die Behälter waren fast leer und es gab keine Lufterneuerung mehr, der Rest wurde für die Arbeiter aufgehoben.
Am anderen Morgen brauchte ich lange Zeit, bis ich wach wurde, ich war vor Angst schweißgebadet und fühlte mich elend betrunken. An diesem sechsten Tag unserer Gefangenschaft beschloss Nemo, die Arbeiten mit Pickel und Hacke einzustellen und die noch übrige Schicht mit dem Gewicht der Nautilus zu zerdrücken. Der Kapitän war physisch ebenso geschwächt wie wir. Aber er stand durch seine moralische Festigkeit alle Anfechtungen durch, dachte und handelte. Er ließ die Nautilus , nachdem alle Mann an Bord waren, etwas steigen und öffnete dann die Ausgleichstanks, sodass 100 m3 Wasser hereinstürzten und das Fahrzeug zu Boden drückten. Wir standen und lauschten. Würde der Stoß den Meter Eis unter uns zerbrechen? Plötzlich trat zu dem bedrohlichen lauten Summen in meinem Kopf ein tiefes Dröhnen und Bersten, das von außen kam, das Eis krachte und zersprang, wir sanken durch das Loch und fielen plötzlich wie eine Eisenkugel im Wasser.
Sofort traten die Pumpen in Aktion und schleuderten das Wasser wieder hinaus, bis die Fallbewegung aufhörte. Das Rotieren der Schraube war zu hören und bald schoss die Nautilus gewaltig angetrieben nach Norden.
Ich erlebte diese Bewegung auf einem Sofa in der Bibliothek liegend. Mein Gesicht war violett angelaufen, meine Lippen tiefblau, ich brachte nur schwer einzelne Gedanken zusammen, der Zeitbegriff hatte sich aufgelöst, ich sah kaum noch etwas und war zu irgendwelchen Bewegungen unfähig. Ich begann langsam zu begreifen, dass dies der beginnende Todeskampf war.
Plötzlich kam ich zu mir, merkte, wie ich gierig Luft schlürfte.
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