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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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heftigen Umarmung los, bewegt sich selbstständig weiter bis in die Mantelhöhle des Weibchens, wo sich die Telegenese dann vollzieht. Und an Stelle des abgerissenen Hektokotylus bildet sich ein neuer. Also ist Invalidität in diesem Fall kein unveränderliches Kennzeichen. Aber da sehe ich sechs oder sieben andere Tiere, und das macht es schon viel unwahrscheinlicher, dass wir dem bekannten Kraken begegnet sind.«
    Man hörte jetzt zwischen den Schraubengeräuschen das Kratzen der Schnäbel an der Schiffswand; die Erfolglosigkeit der Bemühungen musste die Kampflust der Tiere noch steigern und wir würden lange Begleitung haben. Ich setzte mich vor dem Fenster nieder, um in Ruhe vor dem Objekt meine Aufzeichnungen zu machen. Da wurde die Nautilus langsamer und stand plötzlich mit einem Ruck still. Das Schraubengeräusch setzte aus.
    »Sind wir gestrandet?«
    »Jedenfalls sitzen wir nirgends auf.«
    Ich begann, mich über den Vorfall zu wundern, als die Salontür aufging und der Kapitän in Begleitung des Ersten Offiziers hereintrat. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Sein Gesicht war düster. Er trat vor das geöffnete Fenster und betrachtete die Tiere. Dann sprach er einige Worte zu seinem Gefährten, der wieder verschwand. Kurz darauf schlossen sich die Läden, das Licht im Salon ging an.
    »Eine merkwürdige Polypensammlung da draußen«, sagte ich zum Kapitän im unbefangenen Ton eines Aquariumbeschauers.
    »Sie irren sich tatsächlich nicht, Herr Naturforscher«, antwortete er. »Und Sie können auch gleich nähere Bekanntschaft mit den Tieren machen. Wir werden ihnen mit der Axt in der Hand auf den Leib rücken.«
    Ich dachte zuerst, ich hätte den Kapitän nicht richtig verstanden.
    »Mit der Axt …?«, fragte ich.
    »… in der Hand«, antwortete er. »Haben Sie nicht gehört, wie die Schraube stecken blieb? Einer dieser Gelbschnäbel muss dazwischengekommen sein.«
    »Und was wollen Sie dagegen tun?«
    »Wir tauchen auf und vernichten gleich die ganze Brut.«
    »Und wie stellen Sie sich das vor?«
    »Schwierig. Aber meine elektrischen Kugeln richten bei diesen Tieren nichts aus, ihr Fleisch ist zu weich. Die Axt ist die einzige brauchbare Waffe.«
    »Und die Harpune, wenn sie richtig trifft«, sagte Ned Land. »Falls Sie meine Hilfe annehmen.«
    »Aber gern.«
    »Wir kommen auch mit.«
    Auf der mittleren Treppe standen bereits zehn Mann mit Enterbeilen bewaffnet. Auch Conseil und ich bekamen Äxte, Ned wog seine Harpune in der Hand. Die Nautilus lag bereits an der Oberfläche und zwei Matrosen schraubten die Bolzen der Luke auf.
    Sie waren kaum damit fertig, als der eiserne Deckel von einem Polypenarm hochgerissen wurde, und gleich darauf kam der Arm voller Saugnäpfe die Treppe herab. Nemo führte den ersten Axthieb und trennte das Glied vom Leib des Kraken. Es rutschte zuckend und sich krümmend zu Boden. Aber als wir hochstürzten, um auf die Plattform zu gelangen, reichten bereits zwei weitere Arme herein und griffen sich den ersten Matrosen, der vor dem Kapitän die Stufen hochsprang. Er wurde aus dem Schiffsleib emporgerissen und von dem mächtigen Arm in der Höhe über uns geschwenkt.
    Mit einem Schrei war der Kapitän an Deck, wir hinterher. Der eingerollte Arm mit den saugenden Schröpfköpfen brachte den Unglücklichen fast zum Ersticken und in seiner Todesangst schrie er um Hilfe – und das auf Französisch. Ich war über diese Entdeckung erschüttert. Dieser Augenblick der Lebensgefahr offenbarte mir, dass ich einen Landsmann an Bord besaß, vielleicht mehrere … Ich werde diese Worte mein Lebtag nicht vergessen.
    Er schien mir verloren, denn wer sollte ihn der erdrückenden Umschlingung entreißen? Der Kapitän hatte sich auf das Untier gestürzt und ihm ein zweites Glied abgehauen, dann fielen weitere. Die Mannschaft kämpfte gegen ein anderes Tier, das von rückwärts angriff, wir hieben in die Fleischmassen ein und spürten, wie ein starker Moschusgeruch die Atmosphäre durchdrang, spürten aber kaum etwas von nachlassender Kraft, Verletzung, Schmerz, Todeskampf bei dem Tier.
    Einen Augenblick lang hatte ich Hoffnung mit dem Unglücklichen und glaubte, er werde dem Schicksal des Ausgesaugtwerdens entgehen. Sieben der acht Arme waren bereits gefallen, nur die Fangschlange mit dem Opfer wiegte noch durch die Luft. In dem Augenblick aber, als sich Nemo und der Erste Offizier auf das Tier stürzten, traf uns alle die Ladung tintenschwarzer Flüssigkeit, die es verspritzte, wir wurden blind

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