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20.000 Meilen unter den Meeren

20.000 Meilen unter den Meeren

Titel: 20.000 Meilen unter den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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zu sehen bekämen.«
    »Simple Kopffüßler …«
    »Nein, riesenhafte Meerpolypen …«
    »Ach, Professor, die Märchen kenne ich auch. So ein Ding möchte ich erst mal anfassen, bevor ich daran glaube.«
    »Aber es ist schon vorgekommen, dass Kraken Schiffe in den Abgrund gerissen haben«, belehrte ihn Conseil.
    »Wer hat dir denn das erzählt? Die ersoffenen Seeleute?«
    »Aber Ned«, sagte ich, »es gibt auch eine ganze Reihe von Gelehrten, die von der Existenz der Riesenkraken überzeugt sind.«
    »Eben, Gelehrte«, sagte er. »Aber Fischer niemals.«
    »Was soll denn der Streit?«, fragte Conseil ungeduldig. »Was brauchen wir Vermutungen. Ich selbst bin Zeuge. Ich habe mit diesen meinen eigenen Augen gesehen, wie ein großes Schiff von den Armen eines Riesenkraken umschlungen und in den Abgrund gezogen wurde.«
    »Was? Das hast du gesehen?«
    »Allerdings.«
    »Selbst? Persönlich? Mit eigenen Augen?«
    »Du sagst es.«
    »Und wo, bitte schön?«
    »In Saint Malo.«
    »Ah, ja dann! In Saint Malo. In dem entzückenden kleinen Hafen von Saint Malo!«
    »Nein, durchaus nicht. In der Kirche von Saint Malo.«
    »In einer Kirche!!!???«
    »Jawohl, mein Freund. Ein Gemälde darin stellt den fraglichen Polypen dar.«
    »Oh, ja schön, gut, ich glaube es dir, weil es so absurd ist«, rief der Kanadier ärgerlich.
    »Eine Legende, Meister«, beruhigte ich ihn. »Sie wissen ja, was wir Naturwissenschaftler von Legenden zu halten haben. Aber wir können uns auch an dem Bericht meines Freundes Paul Bos, Kapitän in Le Havre, orientieren. Bos hat im Indischen Ozean einen Kraken von ungeheurer Größe gesehen. Oder an dem Vorfall auf der Alecton , die sichtete 1861 nordöstlich von Teneriffa, etwa auf gleicher Breite wie wir jetzt, eine Riesenkrake. Der Kommandant näherte sich dem Tier, ließ es mit Harpune und Gewehr angreifen, ohne etwas auszurichten, denn der Stahl und das Blei drangen durch das gallertartige Fleisch hindurch. Aber seinen Leuten gelang es, eine Schlinge um den Körper des Tieres zu werfen, und die verfing sich in den Schwanzflossen. Man versuchte, das Tier herauszuziehen, aber es war so schwer, dass ihm die Flosse abriss. Es verschwand dann ohne diese nützliche Zierde.«
    »Na«, brummte der Kanadier, »das hört sich doch schon eher nach Beweis und Tatsache an. Wie groß war denn das Biest?«
    »Etwa 6 m im Durchmesser?«, schlug Conseil vor, der sich dem Fenster wieder zugewandt hatte.
    »Ja, so etwa.«
    »Und hatte es nicht am Kopf acht Fangarme sitzen, die wie eine Brut Schlangen durchs Wasser wühlen?«
    »Allerdings.«
    »Und hervorquellende Augen, ganz schön groß!?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Und glich sein Maul nicht einem Papageienschnabel, und zwar einem ungeheuerlichen?«
    »In der Tat, mein Lieber!«
    »Er ist’s! Entweder er ist es selber oder sein Bruder!«, brüllte Conseil. Wir stürzten sofort zu ihm ans Fenster.
    »Tatsächlich, da ist das Vieh!«, rief der Kanadier.
    Ich sah genau hin und konnte mich eines Ekelgefühls nicht erwehren. Vor dem Fenster bewegte sich ein schreckliches Monster, das seinen Platz in den Schauermärchen wohl verdiente, einen Krake von kolossalen Ausmaßen, der auf die Nautilus zukam. In den riesenhaften graugrünen Augen saß ein starrer Blick. Der Kopf-Leib, an dem die Fangarme saßen, maß 8 m in der Länge und die Glieder waren doppelt so lang, ein jeder Arm mit 200 schröpfkopfartigen Saugnäpfen bedeckt. Die ersten klebten bereits von außen an der Fensterscheibe fest. Der hörnerne Schnabel öffnete und schloss sich wie eine Blechschere – eine Molluske mit Vogelschnabel, das war schon ein fantastisches Tier. Die Fleischmasse des Leibes war bestimmt 20 000 kg schwer, ein gedunsener Leib, dessen Farbe fortwährend wechselte, von einem schwarzbläulichen Grau bis zu braunroten Tönen.
    Wahrscheinlich war das Tier gereizt, wahrscheinlich passte ihm die Nautilus nicht. Ich war trotz des Ekels glücklich über den Zufall, der mir Gelegenheit gab, eines dieser selten beobachteten Tiere zu studieren.
    »Vielleicht ist es der Krake von der Alecton!«, sagte Ned Land.
    »Dann müsste ihr ein Arm fehlen«, meinte Conseil.
    »Nicht unbedingt«, klärte ich ihn auf. »So was wächst nach. Bei den Männchen ist sowieso einer der acht Arme zum Begattungsorgan ausgebildet, ist hohl und mit Samenpatronen gefüllt (denn der Polyp zieht seinen Samen auf Hülsen). Manchmal findet nicht einmal eine direkte Begattung statt, sondern der achte Arm reißt sich bei der

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