2001 Himmelsfeuer
Sie wusste, was die Männer herführte.
Lorenzo riss sich bei der Arbeit auf dem Rancho nicht unbedingt ein Bein aus. Um die Felder und das Vieh kümmerten sich in erster Linie zu
vaqueros
ausgebildete Indianer, während er mit seinen Freunden den Tag beim Glücksspiel, auf der Jagd und mit Faulenzen in der Sonne verbrachte. Den Männern, die da näher kamen, stand der Sinn allerdings nicht nach Würfelspiel oder nach der Jagd auf Wild, es ging ihnen vielmehr darum, mit Lorenzo um seine Tochter zu feilschen.
Angela war eine Trophäe, um die zu kämpfen sich lohnte.
Seit sich die Gründung von Los Angeles in den südlichen Provinzen von Mexiko herumgesprochen hatte, drängten immer mehr Siedler auf der Suche nach einem besseren Leben in den Pueblo. Das Problem dabei war, dass die meisten Zuzügler unverheiratete Männer waren. Um ihnen Ehefrauen zu verschaffen, hatte der Gouverneur, der darauf bedacht war, dieses wilde Grenzgebiet zu bevölkern, den Vizekönig von Mexiko mehrmals inständig gebeten,
doncellas
– gesunde junge Mädchen – nach California zu entsenden. Ohne Erfolg. Daraufhin hatte er schlicht und einfach »hundert Frauen« angefordert. Als auch dies ergebnislos verlief, blieb dem Gouverneur nur noch, sich bereit zu erklären, Findelkinder aufzunehmen, Waisenmädchen, die dann prompt in Mexiko zusammengetrieben, nach California gebracht und dort auf Familien verteilt worden waren.
Die Männer, die Lorenzo heute mit freudigen Rufen und Wein willkommen hieß, begehrten Angela weniger deshalb, weil sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte und entzückend aussah, sondern weil sie
hispana
war: Durch die Ehe mit einer Frau, in deren Adern rein spanisches Blut floss, konnte ein Mann, dessen Blut gemischt war, für die gemeinsamen Kinder die
legitimidad y limpieza de sangre
beantragen, den offiziell anerkannten »Nachweis der Reinheit des Blutes«, eine Bestätigung, dass ihr Blut unbefleckt war von jüdischem, afrikanischem oder jedwedem anderen nichtchristlichen Blut; ein solcher Nachweis sicherte ihnen in der Kolonie eine herausragende Stellung und gesellschaftliche Anerkennung.
Niemand wusste, wie es sich in Wahrheit mit Angela verhielt – dass sie keineswegs
hispana
war, sondern eine Indianerin. Luisas »Gottesgeschenk«.
Sie erinnerte sich noch an den Tag und die Stunde, als Lorenzo den kleinen Engel mitgebracht hatte. Luisas Knie waren wundgescheuert, weil sie ständig auf den Knien gelegen und zur Heiligen Jungfrau gebetet hatte. Ihr Kind, in der Wüste von Sonora begraben, war gestorben, nicht aber ihre Mutterliebe. Sie hatte ein Ventil für diese Gefühle gebraucht, zumal es kein Grab gab, das sie besuchen und pflegen und jäten und bepflanzen konnte, auch keinen Stein, um Blumen darauf zu legen, nicht einmal einen grasüberwachsenen Hügel, zu dem sie hätte gehen können, um dort Trost zu suchen. Während Lorenzo seinen Pflichten als
patrón
nachkommen musste und sich dadurch ablenkte, blieben Luisa nur Selenas Kleidchen, die nun niemand mehr tragen würde. Sie hatte die Heilige Jungfrau angefleht –
Verhilf mir nochmals zu einem Kind,
und ich werde mich in deinem Namen der Verrichtung guter Werke widmen
–, und da war Lorenzo heimgekommen, mit einem Kind in den Armen. »Mama! Mama!«, hatte die Kleine geweint. Sie hatte das Kind in die Arme geschlossen, und augenblicklich war alles an aufgestauter Liebe wie ein reinigender Bach aus ihrem Herzen geströmt. Die heilige Maria hatte ihre Gebete erhört! Luisa würde zwar immer um die Kleine trauern, die da in der Wüste begraben war, aber diesen Engel wollte sie von ganzem Herzen lieben und wie versprochen ihr Leben der Verrichtung guter Werke widmen.
Niemand hatte sich über das plötzliche Auftauchen in Hauptmann Lorenzos kleinem Lehmziegelhaus gewundert. Jeder in der Kolonie war viel zu sehr mit eigenen Problemen beschäftigt, um sich über familiäre Angelegenheiten anderer den Kopf zu zerbrechen. Wenn man die hellhäutige Luisa auf Angelas dunkleren Teint ansprach, sagte sie, das Kind habe wohl dem olivfarbenen Hautton von Lorenzos Mutter den Vorzug gegeben, was ihrer Meinung nach nicht unbedingt gelogen und somit keine Sünde war und durchaus ein Körnchen Wahrheit beinhaltete. Insgeheim hielt sie Angela nicht für eine Vollblut-Indianerin. Sie glich zwar den Eingeborenen, die in der Mission lebten, aber ihre Haut war heller und ihr Gesicht weniger rund. Gut möglich, dass das Kind von einem spanischen Soldaten
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