2001 Himmelsfeuer
Neve versprochen. Dabei bauten Neuankömmlinge schon jetzt ihre Häuser dort, wo es ihnen passte, sodass abzusehen war, welches Durcheinander in dieser anheimelnden Stadt eines Tages herrschen würde.
Sie legte das Opium zum Trocknen aus – später würde es zu einer klebrigen schwarzen Kugel gerollt und in einem Lederbehälter verstaut werden – und erforschte noch einmal ihr Gewissen. Nein, befand sie dann, es gab keinen Grund, sich schuldig zu fühlen, weil sie weglief. Hatte sie nicht ihr Versprechen der Heiligen Jungfrau gegenüber erfüllt?
Luisa war stolz darauf, wie viele Indianerinnen sie zum Christentum bekehrt hatte. Jetzt sah man sie jeden Sonntag in angemessener Kleidung in der Kapelle, und wenn eine von ihnen heiraten wollte, musste der zukünftige Ehemann zum Christentum übertreten. Weil sie eine gerechte und großzügige Herrin war, verhielten sich die meisten ihrer Dienerinnen ihr gegenüber loyal, eiferten ihr sogar nach. Doña Luisa trug das lange schwarze Haar zu einem Zopf geflochten, der am Hinterkopf zu einer Schnecke zusammengesteckt war, und darüber eine kurze Mantilla aus schwarzer spanischer Spitze, die sie erst beim Zubettgehen abnahm. Dementsprechend bedeckten auch ihre Dienerinnen ihr Haar mit einem Tuch. Sie beteten den Rosenkranz und nannten ihre Töchter Maria und Luisa. Dass eine weglief und in einem Indianerdorf ihr früheres Leben wieder aufnahm, kam nur selten vor. Immer mehr Unterkünfte breiteten sich auf den Ranchos aus, errichtet von Indianern, die sich entschlossen hatten, für die Kolonisten zu arbeiten; sie lernten, mit Pferden umzugehen, sich um das Vieh zu kümmern, wurden Silberschmiede und Zimmerleute. Jetzt, da sie jeden Abend Fleisch vorgesetzt bekamen, hielten sie es nicht länger für nötig, jährlich einmal in die Berge zu ziehen und Eicheln zu sammeln. Nur noch ganz wenige taten dies, um den Geschichten zu lauschen und Heiraten zu vereinbaren, aber mit jedem Jahr wurde die Zahl derer, die sich zur Zusammenkunft in den Wäldern einfanden, kleiner. Das fünftägige Fest, seit Generationen zu Ehren von Chinigchinich, dem Schöpfer, abgehalten, wurde von christlichen Feiertagen und dem Fest von Santiago, dem Schutzpatron Spaniens, abgelöst.
In der Kammer reihten sich Unmengen von Körben, alle gefertigt von Luisas Indianerinnen. Manche waren kunstvoll verziert, mit Mustern, denen angeblich eine tiefere Bedeutung innewohnte. Die Frauen hatten Luisa, während sie die Körbe flochten, bereitwillig die ihnen überlieferten Geschichten erzählt, hatten der Señora von der Erschaffung der Welt berichtet und von den von Großvater Schildkröte ausgelösten Erdbeben. Die kleine Angela hatte anfangs ganz ähnliche Geschichten erzählt, von Kojoten und Schildkröten und einer Ersten Mutter, die aus dem Osten gekommen und Begründerin eines neuen Stammes gewesen war, aber Doña Luisa hatte Angela diesen heidnischen Hokuspokus ausgetrieben, indem sie ihr christliche Legenden und spanische Märchen nahe brachte – die Geschichte der beiden Schwestern Elena und Rosa, die im Königreich von Sapphira lebten und von ihrer Patin, der Glücksfee, verwandelt wurden; die Geschichte des jungen Gonzalito, der mit Hilfe von Tieren mit Zauberkräften eine Prinzessin und ihr Königreich vor einem bösen Zwerg erlöste; die Abenteuer der vier Prinzen, die auszogen, um um die Hand der Prinzessin Aurora anzuhalten. Geschichten, mit denen Luisa aufgewachsen war und die sie an Angela weitergegeben hatte.
Durch das offene Fenster sah sie, dass Lorenzo mit seinen Gästen noch immer im Schatten der Rosenlaube saß und trank. Einer der Männer, der die anderen um einen Kopf überragte, weckte ihre Aufmerksamkeit. Juan Navarro. Luisa mochte ihn nicht. Seine Augen strahlten keinerlei Wärme aus, ließen an die eines kalten Meeresungeheuers denken. Und sein Lächeln wirkte unnatürlich, war mehr ein Fletschen der Lippen, ein krampfhaftes Entblößen der Zähne. Es wurde gemunkelt, Navarro sei vor der Inquisition nach Alta California geflohen, die ihn des Lesens verbotener Bücher bezichtigt habe. Seinen Lebensunterhalt sicherten ihm die Toten. Navarro hatte die Gräber der Azteken geplündert und war mit deren Gold, Silber, Türkisen und Jade zu Reichtum gelangt. Gewiss, es handelte sich dabei um heidnische Gräber, weshalb man nicht von Entweihung sprechen konnte. Dennoch – Luisa empfand es als Leichenschändung, einem Toten einen Ring abzuziehen und ihn sich dann womöglich selbst an
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