2001 Himmelsfeuer
großformatige Bögen aus dickem Papier befanden, alle bemalt mit farbenfrohen Bildern. »Aquarelle nennt man so etwas, Mamá. Schau, wie schön sie Daniel gelungen sind.«
In der Tat. Der Amerikaner hatte nicht nur die Landschaft von California eingefangen, sondern auch die Stimmung. Hingerissen ging Angela Blatt für Blatt durch, konnte förmlich die Sommerhitze riechen, das Summen der Insekten hören, die Trockenheit in der Luft schmecken. Er hatte ein Wachtelpärchen gemalt, das mit seinem Federschopf einander zunickte. Und den friedlichen blauen Pazifik, mit weißen Segeln am Horizont. Einfühlsame Bilder, befand sie, mit liebevollem Herzen ausgeführt.
»Daniel sagt, so ein Licht wie in California gibt es nirgendwo auf der Welt. Er sagt, es ist schärfer und klarer und dass die Farben leuchten. Mein Daniel«, fügte Marina zärtlich hinzu, »ist ein Künstler.«
Angela meinte ihren Ohren nicht zu trauen.
Mein
Daniel? Als jetzt von draußen zu hören war, wie die Musikanten ihre Instrumente stimmten und mit dem Eintreffen der Gäste Worte der Begrüßung durch die Luft schwirrten, überkam sie eine schreckliche Vorahnung. »Denk doch mal an Pablo«, beschwor sie ihre Tochter und merkte, dass ihr das Herz bis zum Halse klopfte. Wenn Navarro von dieser Geschichte mit Daniel Wind bekam! »Er ist ein so netter junger Mann. Du wirst es gut bei ihm haben.«
Marina ließ den Kopf hängen. »Ja, Mamá, gewiss. Ich werde Pablo heiraten.«
»Wirklich? Nach all dem?«
Mit Tränen in den Augen sah Marina auf. »Ich werde Pablo heiraten, weil ich es versprochen habe. Ich werde dir keine Schande bereiten, Mamá.«
»Aber … glücklich bist du darüber nicht.«
Wieder neigte Marina den Kopf. »Mein Herz wird immer Daniel gehören. Aber Pablo ist ein guter Mann, und ich werde mich bemühen, ihm eine gute Frau zu sein.«
Angela blickte ihre Tochter an. Wie war es nur möglich, dass ein so edler, starker Geist aus ihr und Navarro hervorgegangen war?
»Dann solltest du dich jetzt ankleiden, sonst fangen die Gäste an, Fragen zu stellen.« Als Angela das Nähkästchen der Schneiderin beiseite schob, das für allerletzte Änderungen am Brautkleid hergebracht worden war, drängten sich ihr unwillkürlich weit zurückliegende Erinnerungen auf: die Mutter, die für die geplante Reise nach Spanien gepackt hatte, und wie niedergeschlagen sie gewesen war, als sie dann doch nicht fahren konnten. Jetzt, da Angela daran zurückdachte, kam ihr der Verdacht, dass die Reise vielleicht doch nicht ausschließlich zu Doña Luisas Vergnügen geplant worden war, wie sie damals mit ihren sechzehn Jahren angenommen hatte. Waren Mutters Worte nicht gewesen: »Ich möchte, dass du es einmal besser hast«? Und wie zusehends in sich gekehrt Luisa danach geworden war, so als wäre ihre Seele nach und nach geschrumpft, wie eine Kerze, deren Flamme immer kleiner wird und dann verlischt.
Und jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Die Mutter hatte niemals die Absicht gehabt, aus Spanien zurückzukehren! Und dafür, dass sie ihren Ehemann verließ, war sie sogar bereit gewesen, gegen weltliches und kirchliches Gesetz zu verstoßen. Exkommuniziert worden wäre sie – Luisa, diese gottesfürchtige Frau! Vielleicht sogar eingesperrt.
Sie wollte es für mich tun.
Und dann eine andere Erinnerung: Navarro, der sich über Angelas Namenswahl für das Baby erregte. »Marina? Du willst unsere Tochter nach einer Schiffsflotte nennen?«
Für Angela beinhaltete »Marina« mehr als den spanischen Begriff für Marine, schloss den Ozean mit ein, das Meer und beschwor das Bild von quicklebendigen Wesen, die sich in völliger Freiheit tummelten. Welch Ironie des Schicksals, dass sich Marina in einen Kapitän verliebt hatte! War der Traum etwa eine Prophezeiung?
Noch immer ruhte ihr Blick auf dem gesenkten Haupt ihrer Tochter, ihren hängenden Schultern, die Resignation erkennen ließen – wie der alte Indianer, als er mit dem Padre mitgegangen war. Und neben der Musik und dem Lachen konnte Angela durch die offenen Fensterläden das jämmerliche Brüllen des Grizzlys hören, der gegen seinen Willen seiner Freiheit beraubt und in einen Verschlag gesperrt worden war.
»Dieser Daniel«, fragte sie schweren Herzens, »ist Protestant?«
Marina hob den Kopf. »Er ist ein guter und frommer Mann, Mamá«, sagte sie, und ihre Augen begannen wieder zu leuchten. »Er sieht es als Gottes Auftrag an, die Welt zu erforschen und dabei zu denen zu gehen, die noch nie
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