2001 Himmelsfeuer
Bei blutigen Gefechten im Norden hatte es eine Menge toter weißer Männer gegeben.
Seth tauchte das Sieb aufs Neue ins Wasser, drehte und schwenkte es in immer größerem Neigungswinkel, bis der Sand ausgewaschen war und nur noch ein goldhaltiger Bodensatz im Siebtrog übrig blieb. Bei dieser Tätigkeit wanderte Seths Blick zu den dunkelbrauen Kieseln im Flussbett, die in der Sonne aufblitzten, und sie erinnerten ihn an Angeliques Augen. Besonders dann, wenn sie ihre kurzen Wutausbrüche hatte und mit einem »Heilige Jungfrau!« dem nicht aufgegangenen Brot oder dem angebrannten Pudding einen Schlag versetzte. Und die Art, wie das Wasser über die Steine plätscherte, klang wie ihr perlendes Lachen, das gewöhnlich ihren Wutausbrüchen folgte, wenn sie sich selber schalt und eine schwarze Locke aus ihrem Gesicht strich. Als sich ein Eisvogel auf der Jagd nach Fischen, die es hier längst nicht mehr gab, auf einem Ast über dem Fluss niederließ, fand Seth, dass sein blaugraues Gefieder die gleiche Farbe hatte wie Angeliques Kleid, das sie mit Soße bekleckert und mühsam zu reinigen versucht hatte.
Er schüttelte den Kopf. So, wie Angelique immer wieder in seinen Gedanken auftauchte, hatte es den Anschein, als sei sie ihm zu seinem Claim gefolgt.
Er zwang sich, an etwas anderes zu denken: Was würde sich ändern, wenn Kalifornien als selbständiger Bundesstaat anerkannt wurde? In welcher Gegend sollte er sich eine Farm kaufen? Würde der Winter in diesem Jahr früher einsetzen? Doch irgendwie gingen seine Gedanken eigene Wege und drehten sich bereits wieder um Miss D’Arcy. Vergangenen Sonntag zum Beispiel, als der Wanderprediger nach Devil’s Bar gekommen und der Saloon zur Kirche umfunktioniert worden war. Miss D’Arcy hatte sich verspätet. Als sie in der Eingangstür erschien, drehten sich alle nach ihr um und verstummten. Sie trug eines ihrer schönsten Kleider mit einem zauberhaften Schleier aus spanischer Spitze über Kopf und Schultern. In den behandschuhten Händen hielt sie ein Gebetbuch und einen Rosenkranz. Während sich eisige Stille ausbreitete – in dieser überwiegend protestantischen Kolonie begegnete man Katholiken mit einigem Argwohn –, war Miss D’Arcy jedoch nicht nach vorne gekommen, sondern hatte in einer der hinteren Reihen neben den Prostituierten Platz genommen.
Da Gold schwerer wog als Sand, blieb es unten im Siebtrog liegen, während der Sand über den Rand geschwemmt wurde, und Seth konnte die Flocken und Körner mit der Messerspitze herauspicken. Behutsam goss er das restliche Wasser ab, befeuchtete sich den Finger, holte die letzten Goldflitter heraus und steckte sie in sein Schraubglas. Es war eine harte, zeitraubende, zermürbende Arbeit. Manchmal erbrachte ein Tag mit Goldwaschen gar keinen Gewinn. An anderen Tagen wiederum stieß Seth auf Nuggets so groß und hell wie die Sonne.
Seth hockte sich auf die Fersen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick wanderte über den Fluss zu den Überresten des Indianerdorfs auf der anderen Seite. Seth war einer der Ersten gewesen, der an diesem Seitenfluss seinen Claim abgesteckt hatte. Als er hier ankam, herrschte im Dorf noch blühendes Leben. Die Indianer hatten vom anderen Ufer aus schweigend zugesehen, wie sich der verrückte weiße Mann durch den Schlamm wühlte. Dann waren andere weiße Männer mit Picken und Schaufeln gekommen, hatten größere Siebtröge und hölzerne Goldwaschrinnen errichtet, mit denen sie Kies und Schlamm aus dem Flussbett wuschen. In kürzester Zeit waren die Fische aus dem Fluss verschwunden, die Indianer hatten ihr Dorf verlassen und sich zu neuen Jagdgründen aufgemacht.
Manch einer von ihnen hatte sich sogar selber auf die Suche nach dem Gold eingelassen. Obwohl sie persönlich keine Verwendung für das Edelmetall hatten, wussten sie mittlerweile, dass man damit Lebensmittel und Decken kaufen konnte. Einige hatten sich auch als Arbeiter auf den Farmen der weißen Männer oder in Sägemühlen, wie Sutter’s Sawmill, verdingt. Als er mit Miss D’Arcy auf dem Weg von Sacramento an Sutter’s Mill Halt gemacht hatte, um die Pferde zu tränken, hatten sie mehrere hundert Indianer in der Mittagssonne herumsitzen sehen. Sobald das Essen in Trögen herausgebracht und auf die Erde gesetzt worden war, hatten sich die Indianer kniend darüber hergemacht, als ob sie am Verhungern wären.
Die meisten Indianer hielten sich jedoch in den Bergen versteckt. Unter den weißen Männern gab es
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