2001 Himmelsfeuer
Symbol zum anderen huschten, innehielten, ein Detail fixierten, darauf starrten, es einsogen, weiterwanderten. Fast eine Stunde lang hatte er dagesessen, ohne sich zu bewegen, steif und starr, die grobschlächtigen, schwieligen Hände flach auf die Knie gelegt, nur die Augen hatten die prächtige Wandmalerei aufgenommen. Schließlich hatte er sich mit einem brüchigen Seufzer erhoben und gesagt: »Nicht von meinem Stamm.«
Alle möglichen Stammesmitglieder schleppte Jared in die Höhle – Tongva, Diegueño, Chumash, Luiseño, Kemaaya – Junge und Alte, Männer und Frauen, in Anzügen oder Jeans, das Haar gestutzt oder zu Zöpfen geflochten. Da standen oder saßen sie dann rum und sannen den unergründlichen Geheimnissen der uralten Malerei an der Wand nach. Und wenn sie dann wieder abzogen, schüttelten sie jedes Mal den Kopf und sagten: »Nicht mein Stamm.« Einige der Besucher bedachten Erica mit unverhohlen abschätzigen Blicken, im Gedenken an einstige Tabus in Bezug auf Frauen, die es wagten, sich an geheiligten Orten aufzuhalten. Es gab auch welche, die sich in der Höhle sichtlich unwohl fühlten. Eine Frau vom nördlich von Santa Barbara beheimateten Stamm der Purisima verließ panikartig die Höhle und sagte, sie habe ein Tabu gebrochen; es sei Frauen verboten, einen Blick auf die geheiligten Symbole eines visionären Schamanen zu werfen, und als Folge ihres Besuchs hier unten drohte ihr gesamter Stamm mit einem Fluch belegt zu werden. Einige wenige immerhin bezeugten Erica Bewunderung für ihre Arbeit. Ein junger Mann vom Stamme der Navajo und Professor für Geschichte der amerikanischen Ureinwohner an der Universität von Arizona schüttelte Erica die Hand und sagte, er freue sich darauf, vom weiteren Verlauf ihrer Tätigkeit zu erfahren.
Auch angloamerikanische Experten, die an der Universität die Lebensweisen der Indianer studiert hatten, bot Jared auf. Aber trotz Examen und allem angelesenen Wissen schüttelten auch sie die Köpfe und zogen wieder ab.
Das Bild war nicht das einzige Rätsel in der Höhle.
Da war zum Beispiel das Ein-Cent-Stück von 1814 , das sie tags zuvor gefunden hatte. Im Jahre 1814 war es Kaliforniern untersagt, mit Amerikanern Handel zu treiben. Amerikanische Schiffe durften weder in San Pedro noch in San Francisco anlegen, und jeder, der ein Schiff verließ, wurde gefangen genommen und deportiert. Wie also kam eine amerikanische Münze in die Höhle? Jahre später, als Kalifornien bereits Teil der Vereinigten Staaten war, konnte das nicht geschehen sein, dazu war die Prägung zu scharf. Man sah deutlich den Kranz um die Worte
One Cent
und drum herum
United States of America
und auf der Rückseite das Haupt der Freiheitsstatue, mit einem Kranz auf den Locken und umlaufend zwölf Sterne und die Jahreszahl 1814 , alles wie frisch aus der Punze. Eine Münze, die jahrelang in Umlauf war, sähe weitaus abgegriffener aus. Diese hier war kurz nach der Prägung hier gelandet. Und das warf Fragen auf.
Da war noch mehr.
Erica sah sich die Schwarzweißfotos an, die am schwarzen Brett hingen und von einer bemerkenswerten Entdeckung zeugten, die Luke beim Reinigen der Höhlenwände gemacht hatte: die in den Sandstein geritzten Worte
La Primera Madre
– Die Erste Mutter.
Wer war diese Erste Mutter? War das möglicherweise ein Hinweis auf die Identität der Lady?
So nämlich nannten sie sie: die Lady. Die Frau, auf deren intaktes Skelett Erica gestoßen und das dann vorsichtig freigelegt worden war, zusammen mit Grabbeigaben, Überresten von Kleidung, ja sogar langen weißen Haarsträhnen.
Die Geschlechtsbestimmung war leicht gewesen: Das Becken entsprach eindeutig dem einer Frau. Ihr Alter zum Zeitpunkt ihres Todes, das Erica auf zwischen achtzig und neunzig taxierte, wurde anhand ihres Gebisses bestimmt: Die Zähne dieser Frau waren fast bis auf die Kieferknochen abgescheuert, was auf lebenslang mit grobem Sand und Schmutz versetzte Nahrung deutete. Das geschichtliche Alter des Skeletts zu bestimmen war etwas anderes und erforderte eine C 14 -Analyse. Das Knochengewebe ließ auf ein Alter zwischen neunzehnhundert und zweitausendzweihundert Jahren schließen; allein die Tatsache, dass man der Frau einen Speer und eine Speerschleuder und nicht Pfeil und Bogen mit ins Grab gelegt hatte, untermauerte die These, dass sie vor mehr als fünfzehnhundert Jahren gestorben war.
Darüber hinaus hatte Erica Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Lady eine Medizinfrau gewesen sein musste.
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