2008 - komplett
sollen.“
„Allerdings!“
Er zog die Brauen ein wenig hoch, da er ihren spöttischen Tonfall bemerkt hatte. Es waren wunderschöne Brauen, goldfarben und sanft geschwungen. Auch sein Haar war bewundernswert, das in Wellen bis auf seine Schultern fiel.
Was für eine trügerische Schönheit.
Was für eine Vergeudung.
Und was für eine Versuchung!
Zweifellos erteilte ihr der Himmel soeben eine Belehrung, um sie in ihrer Ansicht zu bestärken, dass eine Frau dumm war, wenn sie ihren Ehemann allein nach dessen Aussehen auswählte.
Während sie einen Seufzer angesichts dieser bitteren Lektion unterdrückte, stand sie auf. „Werdet Ihr mich nun nach Woldingham zurückbringen, bevor sich eine Dummheit in eine Tragödie verwandelt?“
Er rührte sich nicht von der Stelle. „Besäße ich einen Zauberstab, würde ich das zweifellos tun, Lady Joan. Aber den besitze ich nicht, und daher müssen wir der ersten Gruppe von Verfolgern aus dem Weg gehen. Wir werden eine Weile hierbleiben und abwarten.“ Er drehte sich um, griff nach einem Krug und zwei Bechern, dann schenkte er ihnen beiden Wein ein. Einen Becher hielt er Joan hin. Sie nahm ihn und bemerkte, wie schwer der Becher war. Er bestand aus massivem Silber und wies kunstvolle Verzierungen auf. Als sie an dem Getränk nippte, entpuppte es sich als vollmundiger Met. Selbst auf der Flucht und in einer Höhle versteckt führte Edmund de Graves kein schlichtes Leben.
Dieser Teil des Mythos entsprach also der Wahrheit, denn der Reichtum von Mountgrave gehörte zur Legende, die diese Familie umgab. Und damit auch ein Teil der Verbitterung zwischen den beiden Familien, da die de Montelans den unermesslichen Wohlstand der de Graves’ auf den Besitz des Banners zurückführten.
Zu gern hätte Joan darauf bestanden, dass sie sofort aufbrachen, doch sie wusste, er hatte recht. Ringsum wimmelte es inzwischen längst von den Männern aus Woldingham, Männer, die erst töten würden, ehe sie ihren Verstand benutzten.
Dem Goldenen Löwen sagte man nach, er sei ein Krieger von nahezu wundersamem kämpferischem Geschick und ebensolcher Kraft, doch selbst wenn das stimmte, konnte er nicht ganz allein zehn oder zwanzig Gegner niederringen – erst recht nicht, wenn er unbewaffnet war.
Dann bemerkte sie Rüstung und Schwert in der Ecke, in der sein Pferd stand, beides aus mattem Stahl und glänzendem Gold, das im Feuerschein funkelte. Aber selbst seine Rüstung konnte ihm nicht helfen, sie sofort unbemerkt nach Woldingham zurückzubringen. Damit war jede Hoffnung vergebens, vielleicht doch noch zu verhindern, dass Nicolette entdeckt wurde und die Wahrheit ans Licht kam.
Seufzend lehnte sie sich auf der luxuriösen, wenngleich behelfsmäßigen Bank nach hinten.
„Wo ist Lady Nicolette?“, wollte er wissen.
„Im Bett. Sie gibt vor, ich zu sein und sich unwohl zu fühlen.“
„Kann sie dort längere Zeit unentdeckt bleiben?“
Zumindest war er so klug, wie man ihn beschrieb, sodass es nicht nötig war, ihm erst jedes Detail zu erklären. „Vielleicht für eine Weile, solange niemand Verdacht schöpft.“
„Lady Nicolette wird von ihrer Familie sehr geliebt. Und da soll sie niemand besuchen, um sich davon zu überzeugen, dass es ihr gut geht?“
„Ihr vergesst, sie ist nicht Nicolette, sondern sie ist ich, und ich bin nichts weiter als eine Cousine.“
„Aber Ihr seid dort ein Gast. Das erscheint mir nachlässig.“
Eigentlich wollte sie mit diesem Mann nicht über so intime Dinge reden, dennoch erklärte sie: „Meine Regel verläuft immer sehr schmerzhaft, Mylord. Einmal hatte ich sie bereits bei meiner Ankunft in Woldingham. Lady Ellen weiß, dass sie mir dann für eine Weile Ruhe gönnen muss. Außerdem wird sie genug anderes zu tun haben.“
„Ah, und das Glück wollte es so, dass Ihr jetzt Eure Regel bekamt? Dafür haltet Ihr Euch tapfer aufrecht.“
Ihre Wangen begannen zu glühen. „Bis dahin dauert es eigentlich noch ein bisschen, Mylord. Wir können nur hoffen, dass Lady Ellen auf solche Dinge nicht allzu genau achtet.“
Er zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Wein. „Und wie wolltet Ihr diese Täuschung bis zum Ende durchhalten?“
Daraufhin erklärte sie ihm, wie sie sich auf dem Weg zum Dorf getarnt hätte. „Wäre alles nach Plan verlaufen, dann hätte man Josef und mich zum Gemach begleitet, und das Fest hätte seinen Anfang genommen. Dort wäre es uns möglich gewesen, unbeobachtet unsere Umhänge abzulegen, um dann ebenfalls an
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