2009 - komplett
schon beinahe. „Davon kann jeder große Krieger nur träumen.“
„Halt den Mund.“
Eine Weile lang schwieg sie. Doch als der Fluss in Sicht kam, brach es aus ihr heraus.
„Wer wird für Eure Seele beten, wenn Ihr einmal sterbt, sirrah ? Ihr, ein Mörder vonKindern und wehrlosen Frauen? Andere Mörder? Was für eine Wirkung werden ihre Gebete auf den Allmächtigen wohl haben? Welche Gnade wird er Euch zeigen?“
Sie spürte, dass sie das Richtige gesagt hatte, indem sie an seinen Eigennutz appellierte. Ihm gefiel diese Arbeit nicht. Das hier war glatter Mord, kein Kampf.
Olivia merkte, wie sein gertenschlanker Körper hinter ihr sich versteifte.
Clement gab Befehle, sie zum Ufer hinunterzubringen. Um dort ertränkt zu werden , wie Olivia wusste. Sie wartete, beobachtete ihren Reiter und hoffte gegen jede Vernunft, dass er ihr zu Hilfe eilen würde.
Er schwieg, während sie langsam die steile Uferböschung hinunterritten. Auch Olivia sagte kein Wort. Sie musste dem Mann Zeit geben, über das Heil seiner unsterblichen Seele nachzudenken. In Gedanken schien er dabei, das Für und Wider abzuwägen, und Oliva musste schon etwas Außergewöhnliches einfallen, um die Waagschale zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Denn falls nicht noch ein Wunder geschah, würden sie und Stephen auf dem Grund des Flusses den Tod finden.
Am Ufer, dessen gefrorener Schlamm rasch von einer dünnen Schicht Schnee bedeckt wurde, blieben sie stehen. Die Hufe der Pferde wühlten den Schlamm auf, bis nur noch eine hässliche, schmutzig weiße Masse davon übrig blieb.
Dann kam Clements Befehl. „Absteigen.“
Der Mann hinter Olivia glitt aus dem Sattel und streckte ihr die Hände entgegen. Sie wartete, bis er den Blick zu ihr hob. Dann biss sie sich auf die Lippen und konzentrierte sich auf den Schmerz, während sie ihm das schlafende Kind in die dürren Arme legte.
Er wandte den Blick nicht ab. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, während er das Kind festhielt.
Aber er tat nichts.
„Steig ab“, sagte Clement erneut.
Olivia hielt den Blick immer noch auf den Mann gerichtet. Seine Augen erzählten ihr von seinem inneren Kampf. Doch er rührte sich nicht, um ihr zu helfen.
Clement trat zu ihnen. „Steig ab!“, schrie er, und Olivia wusste, dass ihre Zeit um war.
Sie hatte so entsetzliche Angst, dass sie sich nicht rühren konnte. Jetzt hing alles von dem Mann neben ihr ab, der Stephen auf dem Arm trug.
Der Soldat drehte sich um und ging zum Wasser.
Ihre Hoffnung schwand, und Olivia verließen all ihre Kräfte. Sie wandte sich um, um sich ihrem Mörder zu stellen.
Von irgendwoher kam ein Ton wie ein Schwirren und dann ein leises, kaum hörbares dumpfes Geräusch. In Clements Brust erschien die Spitze eines Pfeils, der nach außen zeigte, so als wäre er aus Clements Innerstem gekommen. In pulsierenden Stößen schoss Blut aus der Wunde und durchnässte augenblicklich sein Gewand.
Clement starrte auf die Pfeilspitze hinunter. „Ich bin getroffen! Ich bin von einer Armbrust getroffen!“
Verwirrt blickte Olivia zu dem Soldaten hin, der immer noch Stephen hielt. Er schien genauso entgeistert zu sein wie sie selbst.
Wenn nicht er – wer dann?
„Schnappt euch das Mädchen!“, schrie Clement, als er fiel. „Wenn wir sie haben, wird er es nicht wagen ...“
Er sagte nichts mehr, denn ein weiterer Pfeil folgte und schlitzte ihm dieses Mal die Kehle auf.
Er fiel tot zu Boden, und im Wald war es still.
Olivia suchte mit den Augen das Ufer ab. Ihr Blick folgte dem Weg, den der Pfeil genommen hatte. Im Wald hinter der Stelle, wo Clement eben gestanden hatte, stand Will, die Armbrust noch in der Hand. Wie ein mythischer Gott aus den Tiefen des Waldes tauchte er aus einem Haufen schneebedeckten Farnkrauts auf. Seine Männer eilten den Hügel hinunter und kreisten Clements Soldaten ein. Doch da ihr Anführer tot war, hatten sie nicht mehr den Mut zu kämpfen.
Olivia rutschte vom Pferd und stolperte fast über den Soldaten, der auf die Knie gesunken war und vor Erleichterung weinte, weil er nun seiner schrecklichen Pflicht entbunden war. Immer noch hielt er Stephen sicher in seinen Armen.
Olivia entriss ihm das Baby und lief zu Will.
EPILOG
Den ganzen Weg nach Hause hielt Will sie fest in seinen Armen. Auf ihrem Schoß schrie Stephen aus Leibeskräften. Aber das Schreien wirkte eher beruhigend als besorgniserregend. Jetzt, wo Wills Arme sie umschlangen und er sie nicht einmal für einen kurzen Moment loslassen wollte, war
Weitere Kostenlose Bücher