201 - Die Rachegöttin
Rulfan verstehen, warum Marii und Herak ausgerechnet dieses Land so hart umkämpften.
»Maddrax und Rulfan«, begrüßte sie der Anführer der Adoors mit einem Kopfnicken. Seine Fältchen wurden zu tiefen Furchen, als er ihnen zulächelte. »Ihr habt Nao zurückgebracht. Ich danke euch dafür. Es bedeutet viel, Folter und Tod zu entkommen.«
Er gab dem Jungen ein Zeichen. Der stürmte zu den wartenden Kriegern, als sei er einer von ihnen. Ehe Matt oder Rulfan etwas sagen konnten, fuhr der alte Mann in seiner Rede fort: »Mein Name ist Herak. Gemeinsam mit den Adoors lebe ich in diesem Paak. Wie unsere Vorväter.«
Matt trat einen Schritt vor. »Auch die Perons behaupten, ihre Vorväter hätten in diesem Paak gelebt.«
»Sie lebten gemeinsam hier«, erklärte Herak schlicht. »Wir Adoors versorgten die Stejchon mit Dingen von der Oberfläche und bewachten die Perons. Wir waren ihre Diener. Doch dann kam die Sonne zurück, und die Perons beschlossen, dass sie uns nicht mehr brauchten. Sie verbannten uns aus dem Paak. Marii weiß das. Sie kann die heiligen Schriften lesen, in denen es steht. Aber sie ist blind und taub.«
Matts Stimme klang zweifelnd. »Woher wisst ihr das? Aus mündlichen Überlieferungen?«
Herak schüttelte den Kopf. »Ich weiß es von einer Peron. Einer Uneska, die mein Weib war. Sie hat sich mir hingegeben. Marii konnte ihr das nie vergeben.« Ein Schatten schien sich auf sein Gesicht zu legen. »Ich will es euch erzählen. Wie es zwischen mir und Tatjena war. Und mit Marii.«
***
Marii, 22 Jahre zuvor
Der Mond war fast voll, als zwei Vertraute Mariis die gefesselte Tatjena zum Opferplatz brachten. Sie hatten sie zusätzlich geknebelt und ihr ein Tuch um den Kopf gelegt, sodass ihr unterdrücktes Schluchzen gedämpft wurde.
Marii ging hinter der Gefangenen, den Kopf stolz erhoben – und innerlich vor Wut kochend. Wie hatte die Freundin sie nur derart verraten können?
Mutter eines Bastards!
Sie kamen auf die Lichtung, auf der schon Perdor hingerichtet worden war. Bald würde hier Tatjena hängen.
Marii riss der Heilfrau das Tuch vom Kopf. Tatjena sah sich um und wurde noch bleicher. Sie schüttelte heftig den Kopf, versuchte die gefesselten Hände flehend auszustrecken.
»Jammer jetzt nicht.« Marii fühlte kein Mitleid. »Du hast mich betrogen und alle Perons. Du hast dich dem Feind hingegeben. Sei froh, nicht mit dieser Schande leben zu müssen.«
Tatjena wimmerte. Marii bedeutete ihren Leibdienern, der Gefangenen den Knebel abzunehmen. Sie waren weit genug von der Küste und ihrem Dorf entfernt. Niemand würde Tatjena schreien hören.
»Bitte…«, keuchte Tatjena. »Lass mich und meine Tochter gehen! Wir verlassen den Paak, wir…«
Marii schlug ihr ins Gesicht. »Was hat er mit dir gemacht? Welchen Zauber hat er auf dich gelegt? Du bist nicht mehr als seine Sklavin!«
»Marii…« Die Tränen flossen ungehindert über Tatjenas Wangen. »Um unserer Freundschaft willen, lass mich gehen!«
Marii berührte die rot gefleckte Wange Tatjenas. Sie konnte sie nicht gehen lassen. Dieser Verrat war zu groß.
»Herak hätte sterben sollen!«, brüllte sie der verängstigten Frau ins Gesicht. »Du hattest kein Recht, ihn zu heilen und dich ihm auch noch hinzugeben! Sein Tod sollte mir Frieden bringen! Aber er starb nicht! Weil du es verhindert hast! Deshalb wirst du es tun! Du wirst seinen Platz einnehmen!«
»Du bist wahnsinnig!«
Marii schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bin die Einzige hier, die noch bei Vernunft ist. Als ich euch beide unten an der Küste zusammen sah, konnte ich es nicht glauben. Das Urteil über dich zu sprechen ist mir nicht leicht gefallen. Zwei Wochen haderte ich mit mir, was mit dir und deinem Balg geschehen soll.«
»Lass die Finger von Airin!« Tatjena kämpfte gegen ihre Fesseln.
Marii lächelte. »Keine Sorge. Sie ist ja noch ein Baby und kann nichts für den Verrat ihrer Mutter. Ich lasse sie am Leben – aber ich sorge dafür, dass sie nie eigene Bastarde gebären wird. Falls sie den Eingriff übersteht, soll sie wie mein eigenes Kind aufwachsen. Ich werde sie zu meiner Hantaa machen. Sie wird mir Heraks Kopf bringen, und das wird der Tag sein, an dem ich dir vergebe.«
»Du bist krank! Die Dämonen haben dich vergiftet!«
Marii genoss die Verzweiflung auf Tatjenas Gesicht. »Hängt sie auf. Schneidet ihr die Kehle durch, wie es die Adoors tun, mit denen sie sich eingelassen hat.«
Tatjena brachte kein weiteres Wort heraus. Ihr Schluchzen war
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