2.01 Donnerschlag
doch nicht in echt!“, hielt Willi dagegen, und Leon legte die Hand auf die Brust. „Nein, aber da!“, wiederholte er Willis dämonische Worte. „‚Da bringt ihr euch um!‘ Das hast du gesagt. ‚Das tötet ihr, hört ihr, wenn ihr nach Donnerschlag geht. Ihr killt euren Mut. Und wenn der einmal tot ist, seid ihr nichts mehr wert. Denn wenn man nach Donnerschlag geht, hat man nur eine einzige Chance. Die muss man nutzen. Und wenn man da scheitert, ist es aus und vorbei.‘“ Tränen liefen Leon über die Wangen. „Hast du das gesagt?“
„Ja“, nickte Willi, „das habe ich, Leon. Aber das andere auch! Verstehst du denn nicht? Das sind die beiden Seiten der Münze. Wer alles riskiert …“
„… kann alles verlieren.“ Ich sagte die drei Worte wie ein Todesurteil.
„Genau!“, nickte mir Willi genauso ernst zu. Doch dann lachte er wieder. „Aber wer nichts riskiert, hat schon alles verloren, und wer alles verloren hat, verliert am Ende sich selbst.“ Er schaute uns an. Er suchte nach Worten. Er wedelte hilflos mit den Armen herum. „Versteht ihr mich nicht? Ich konnte euch bis gerade eben nicht helfen. Nein, ich durfte es nicht. Ihr musstet euch diesmal alleine entscheiden. Ihr wart groß genug und ihr wärt es nicht mehr gewesen, wenn ich für euch entschieden hätte.“ Er sah mich stolz an. „Ja, bedankt euch bei Nerv. Er hatte den Mut, der dazu notwendig war. Nach Donnerschlag wird man nämlich nicht chauffiert. Da nimmt einen der Papa nicht ans Händchen. Da wäscht einem die Mama nicht das Gesicht. Da kriegt man zum Abschied auch kein Küsschen. Da geht man nur hin, weil man es selber will. Und wenn man es will, leuchtet der Schlüssel. Ich meine, den Fußballanhänger an der Kette. Los zeig ihn, Nerv, los!“
Ich kramte mit hochrotem Kopf in der Hose herum und zog die Faust mit dem Fußball heraus.
„Los, zeig ihn uns, Nerv!“, befahl Willi energisch, und als ich die Finger ganz langsam öffnete, strahlte der Schlüssel in einem eiskalten Blau.
Die Wölfe auf dem Hügel erhoben sich raunend und April sah ihren Anhänger an. Auch der glühte eisig.
„Yeah!“, hauchte Klette und Willi brummte zufrieden. „Gut. Und wenn er dann rot wird, so rot wie Nervs Kopf“, er schmunzelte freundlich, „ist es Zeit für das Tor. Das Tor hinter der Halle im Wilden Wald . Ich meine den Baum auf dem Schlangenkamm. Und das kann jetzt jeden Tag passieren. Also, was ist? Können wir endlich mit dem Training beginnen?“
Da blieb uns einfach nichts anderes übrig: Wir gingen ganz brav zu unserer Tribüne und schleppten die Sessel, Sofas, Polster und Kissen für unser Selbstvertrauen zum Zaun.
DER LT HOCH ZWEI
Um halb sechs waren wir endlich fertig. Die Sofas und Sessel lagen samt ihrer Polster und Kissen zwischen den Leitern auf beiden Seiten des Zauns und die Sonne stand schon bedenklich tief, als ich zusammen mit Leon – vor den Augen der Kerle und denen der Wölfe auf dem Hügel vorm Tor – auf die rostigen Leitern stieg.
Ja, Willi hatte uns ausgesucht, den ‚LT hoch zwei‘ als Erste zu machen.
„Ich brauche den Anführer!“, hatte er zu Leon gesagt. „Und dann brauche ich den, dem ihr am wenigsten traut. Den Kleinsten von euch. Den, der noch gar nicht zu euch gehört.“
Könnt ihr euch vorstellen, wie ich mich fühlte? Wie weich meine Knie waren und wie laut mein Herz schlug, als ich zusammen mit dem coolsten der Kerle, mit Leon, dem Slalomdribbler, die Sprossen erklomm? So, das wusste ich plötzlich, hatte sich Jojo gefühlt, als er als Letzter der Wilden Kerle, der den Lancelot-Test noch nicht absolviert hatte, auf Willis Befehl gegen Rocce, den Zauberer, hatte antreten müssen.
Die Leitern schwankten wie Gräser im Wind und ich war heilfroh, als ich das obere Ende erreichte. Doch da wollte Willi, dass wir uns auf die Holzbretter stellten. Auf die Spitze der Holzbretter. Die staken windschief und brüchig aus dem Boden, und als ich mich endlich dazu überwand, schwankte ich wie ein Eichhörnchen auf einem zu dünnen Zweig und plumpste um Hilfe schreiend herunter. Ich fiel in die Polster, was mich davor schützte, dass ich mir etwas brach. Aber die Peinlichkeit, die mich überfiel, wurde durch den sanften Aufprall noch schlimmer. Ich hörte, dass Klette amüsiert kicherte, und als ich zum Zaun hinaufsah, stellte ich fest, dass Leon natürlich noch immer dort stand. Er kämpfte zwar mit dem Gleichgewicht. Aber er stand auf dem Zaun. Da reichte mir Willi die Hand.
„Versuch’s
Weitere Kostenlose Bücher