2.01 Donnerschlag
grinsten sich an und machten die Übung. Zuerst führten sie sich und dann liefen sie beide allein, so wie ich es ihnen vorgemacht hatte, über die Bohlen.
„Alles ist gut!“, kam Leon zu mir und reichte mir eine Apfelsaftschorle. Die hatte er für mich aus dem Kiosk geholt. Er, hört ihr: er, der Slalomdribbler, Torjäger und Blitzpasstorvorbereiter. Der Anführer der Wilden Kerle hatte mir eine Apfelsaftschorle geholt.
„Alles ist gut!“, grinste er, als ich ihn immer noch anstarrte, und als ich endlich mit ihm anstieß, prosteten mir die anderen zu.
„Solange du wild bist!“, riefen Markus, Maxi, Vanessa und Marlon.
Wir tranken die Apfelsaftschorlen auf ex und danach lehnten wir uns aneinander. Ja, ich lehnte an Leons Schulter und er an meiner, und so sahen wir zu, wie ein Kerlepaar nach dem anderen auf den Bretterzaun stieg. Zuerst Markus und Maxi. Die beiden erzwilden Kerle schafften die Übung mit links und variierten sie deshalb noch einmal, indem sie sie hüpfend auf einem Bein absolvierten. Da wollte sich Marlon nicht lumpen lassen. Er war der Älteste und die „Intuition“. Er stand auf dem Holzzaun gegenüber Vanessa, als die Sonne unterging, und in ihrem feierlich roten Licht fragte er seine Freundin: „Und? Vertraust du mir wirklich?“
Vanessa schaute ihn an. Sie schien noch zu zögern und ihr Blick wanderte über Marlons Schulter hinweg zum Hügel hinauf, auf dem sich jetzt April aus den um sie sitzenden Wölfen erhob.
„Vertraust du mir wirklich?“, fragte Marlon noch einmal, und es schien so, als wollte Vanessa seine Frage nicht hören. Sie fixierte das Mädchen mit den zu einem Turban gebundenen Rastas und spürte ihren stolzen und spöttischen Blick. Dann hob April den Arm, und als sie ihn streckte, schoss ein Falke herbei, um darauf zu landen.
Vanessas Augen zuckten nur kurz. Doch daran, wie sie die Finger in ihre Handballen grub, konnte man sehen, wie sehr es sie traf.
„Du vertraust mir doch, oder?“, fragte Marlon beschwörend, und dann war es still.
Der Falke schrie einmal spöttisch und scharf und Vanessa hob langsam, ganz langsam den Blick. Sie schaute Marlon direkt in die Augen. „Ja“, sagte sie leise und zwang sich zu nicken. „Ja!“, sagte sie lauter. „Ich vertraue dir.“ Sie holte tief Luft. „Ich vertraue ihm!“, rief sie zum Hügel hinauf, und dann steckte Marlons Lachen sie an.
„Gut!“, rief er. „Gut! Dann lass es uns ihnen endlich beweisen.“
Er sprang vom Zaun, lief quer über den Bolzplatz auf die andere Seite und kletterte dort über die von uns leer geräumte Tribüne auf den wackligen Zaun.
„Nerv, gib Vanessa deinen Ball. Wir laufen einmal um den Teufelstopf und wir passen uns dabei die Bälle zu. Volley, hört ihr? Und mit verbundenen Augen.“
Er zog sich das Stirnband aus den Haaren und rief dann zu Willi: „Und du, schalte bitte die Baustrahler ein. Ich will, dass sie es sehen. Ich will, dass sie sehen, wer gegen sie spielt, wenn der Schlüsselanhänger seine Farbe verändert.“
Willi tat gern, was Marlon verlangte. Er kippte den Hebel, und nach einem heftigen Britzeln und Funkeln gleißten tatsächlich noch einmal drei Scheinwerfer der einstmals so stolzen Wilde-Kerle-Baustrahler-Flutlichtanlage auf.
„Gut!“, lachte Marlon. „Das ist hell genug! Könnt ihr uns sehen?“, rief er zu April und den Wölfen auf dem Hügel hinauf. „Dann zeigen wir euch jetzt, dass wir unsere Herzen noch haben. Und die schlagen noch wild!“ Er schaute ein letztes Mal zu Vanessa hinüber. Die hielt ihr Piratenkopftuch bereits in der Hand.
„Ich mach das“, rief Marlon, „weil ich das nur mit dir machen kann. Nur wir können das schaffen. Verstehst du mich?!“
Und Vanessa verstand. Das zeigte das Leuchten in ihren fast schwarzen Augen, vor die sie sich jetzt ihr Kopftuch band. Das Leuchten, das Marlon so sehr an ihr liebte.
„Warte!“, rief ich und lief zu meinem Tigerfahrrad, riss den Ball aus dem Netz und warf ihn ihr zu. Doch anstatt ihn zu fangen, rief sie nur lachend: „Dann geht es jetzt los!“, und drosch das Leder direkt und volley hinüber auf die andere Seite. Dort sprang Marlon bereits mit Stirnband verbundenen Augen über die Bohlen. Er rannte und tanzte. Er drehte sich sogar einmal im Kreis, jauchzte vor Freude und passte den Ball zu Vanessa zurück. Die hatte inzwischen den Wachtturm in der Ecke hinter Willis Kiosk erreicht. Sie packte mit beiden Händen eine der Stangen, auf denen sich der Turm über den Holzzaun
Weitere Kostenlose Bücher