2012 – Das Ende aller Zeiten
hatte ein anderes Muster, vermutlich das Emblem der Truppe. Darüber, an der Spitze, hing die braune Haut von jemandem, der irgendwohin gegangen war oder etwas getan hatte, wohin oder was er besser nicht hätte sollen, und schlug schlaff hin und her wie ein nasses Museumsbanner.
In dieser Welt war die Kleidung der Passierschein, und ein Trupp Speerschleuderer half uns durch die Volksmassen. Nur für Mitglieder, dachte ich. Wir schoben uns an dicht gedrängten Gruppen vorbei. Inzwischen konnte ich Sippen und Nationalitäten an den Kleidern undKörpermodellagen erkennen, und als Bonus schalteten sich Schakals zumeist verächtliche Status-Assoziationen ein. Die orangenen Saris zum Beispiel, die diese kleinen, staubigen Leute trugen, zeigten an, dass sie Cacaxtlaner waren; und da drüben diese großen drahtigen Rundköpfe mit – verdammt, ich benutze abfällige Bezeichnungen, die hier zum guten Ton gehörten, aber im 21. Jahrhundert ganz schlechtes Benehmen waren – diese drahtigen Personen mit präkanzeröser, rissig-brauner Haut waren Chanacu, Ur-Mexteken, aus den Bergen um den Zempoaltepetl. Die aneinandergebundene Gruppe großer ektomorpher Typen mit frischem Schorf und Büßersandbeuteln an den Fußgelenken waren keine Sklaven, sondern Yaxacaner, Leute aus dem ferneren nordwestlichen Tal, die eine dunkle Schuld zu büßen hatten. Dort die Reihe kleiner, blasser, verstohlener, fast nackter Typen mit den dicken Lippenpfropfen und lehmbeschmierten flachen Schnittwunden waren aus dem tiefsten Süden gekommen, vielleicht sogar aus Costa Rica, und verkauften kleine Frösche und Insekten aus gehämmertem Gold, was hierzulande eine große Neuheit war. Ein kleinerer Zapoteken-König, der mit klappernden Muschelschalen behängt war, kam auf den Schultern eines gut zwei Meter zehn großen Riesen mit Hypertelorismus. Es gab zwei Arten von Leuten mit westlichem Aussehen: Taxcanob’ von der Pazifikküste und ein anderer Stamm, den ich nicht einordnen konnte, irgendwelche Fischer in Aalhäuten und Haifischzähnen. Vier von ihnen hockten über einem in den Boden gestochenen Kreuz und spielten die einfache Glücksspielversion des Opferspiels. Die übrigen standen darum herum und kiebitzten lärmend. Ein doofes Spiel, dachte ich. Der Unterschied zwischen dem richtigen Opferspiel und dem, was die da taten, war wie der zwischen Turnier-Bridge und Quartett. Hundertfach. Hun Xoc zeigte auf ein paar große Typen in Hirschfellen, die nach Hinterwäldlern aussahen und aus dem Norden kamen. Vermutlich waren sie jahrelang durch die nördlichen Wüsten gewandert und kamen vielleicht – schwer zu glauben, aber möglich – aus einem der angehenden Maisimperien entlang des Mississippi in Ohio. Sie handelten mit blauen Steinen, die gerade in Mode kamen, enorm teuer und in den Maya-Staaten noch unbekannt waren: Türkise. Ein Stück vor uns war zu hören, wiejemand zusammengeschlagen wurde, und links von uns war ein fahrender Matten-Mann zugange, eine Art unabhängiger Auktionator, der sich darauf verlegt hatte, Pilgerkinder zu verhökern, damit deren Eltern die Stadt betreten durften. Er hob einen nackten vierjährigen Jungen über seinen Kopf, um ihn vorzuzeigen, indem er ihn bei dem Strick nahm, der die Füße an die Handgelenke fesselte, sodass das Kind kreischend herabhing. Ein Trupp Maya-Geblüte neben uns in minderwertigem Streichgarngewebe und mit ehrgeizigen Frisuren waren Yukatekaner, und die Kerle mit den pyrographischen Wirbeln an der linken Körperseite waren Colimaner, die hier mit Töpferware hausierten, um das Zeug zu ersetzen, das während des »Schweigens« zerschlagen werden würde. Offenbar – und mir war das noch nicht so ganz klar – bestand die Vorstellung darin, dass alles mit einer Seele, womit im Grunde alles gemeint war, das einen Zweck hatte, zum Beispiel eine Waffe, ein Werkzeug oder auch eine Schüssel, während der Vigil leicht einer Besessenheit anheimfallen und seinen Besitzer angreifen konnte. Ich stellte mir eine stämmige Hausfrau vor, die im Dunkeln um sich schlug, um wütende Schwärme von Tongeschirr abzuwehren. Jedenfalls wurde erwartet, dass man das ganze Zeug zerdepperte und mit dem Haushalt bei null wieder anfing. Vielleicht war das nur ein Marketing-Trick, damit jeder mehr an den anderen verkaufen konnte. Statt auf geplanten Verschleiß, was bedeutete, dass man nur gelegentlich mit einem neuen Modell herauskommen konnte, verlegte man sich auf geplante Zerstörung.
Wir schoben uns auf das
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