2012 – Das Ende aller Zeiten
Pfahlwerk zu. Platz machen für die VIP s. Reinzukommen sah nicht einfach aus. Eine Kette von Schwalbenschwanz-Geblüten, drei Reihen tief und im komplettesten Friedenszeitenfummel, versperrte die einzige Lücke in der Schutzwand. Hinter ihnen konnte man durch den Dunst von mehreren hundert Schwitzbädern einen Terrassenhang sehen, pickepacke voll mit neuen strohgedeckten Speicherhäusern und Stapeln geschälter und gespitzter Baumstämme. Ich dachte gerade daran, dass wir vielleicht den ganzen Weg umsonst gekommen waren, als ich merkte, dass wir in eine Empfangsformation gerieten und dass 12-Kaiman von Maya-Geblüten in Quincunx-Anordnung begrüßt wurde, die aus dem Nichts aufgetauchtwaren. Hun Xoc wies mich auf einen von ihnen hin: der berühmte 14-Verwundeter, 2 JS ’ Adoptivneffe.
Er schien mehr Schmuck zu tragen, als der Gelegenheit angemessen war, doch er war ein bisschen kleiner als ein durchschnittlicher Adliger der Maya und hatte unter seiner Halbmaske ein Dutzendgesicht. Er war der Kopf der Handelsmission des Harpyien-Hauses in Teotihuacán, wie man sagen könnte. Eigentlich war es ein bisschen komplizierter als das, weil die Harpyien zu einem quasi internationalen Bund der mit den Adlern verwandten Sippen gehörten und er mit vielen davon Geschäfte tätigte. Aber der eigentliche Punkt war, dass er eine Menge Geschäfte im Tiefland tätigte, und obwohl er kein Bürger Teotihuacáns war – was an sich schon eine ziemlich unklare Definition ist –, hatte er hier angeblich viele Freunde an höherer Stelle.
14-Verwundeter stand in der Mitte von vier adoptierten Geblüten. Sie waren ehemalige Landbewohner aus Ix, wahrscheinlich Flüchtlinge, die auf die eine oder andere Weise in seine Sippe aufgenommen worden waren. Trotz der Maya-Gesichter wirkten sie wegen ihrer eckig drapierten Mantas und der von rotem Hundefett glänzenden Haut ausländisch. Sie trugen tanasacob , kammähnliche Anhänger, die durch ein Piercing in der Nasenscheidewand befestigt wurden und vor dem Mund herunterhingen. Sie erinnerten mich an viktorianische Schnauzbärte, irgendwie prüde und gleichzeitig bedrohlich. Sie machten es verblüffend schwer, den Gesichtsausdruck zu lesen. Der Grund für die Dinger war angeblich der, dass man es in dieser gewaltfreien Stadt für aggressiv hielt, seine Zähne zu zeigen. Es hieß, aus dem Mund der Leute kämen schlechte, räudebringende Winde. Was von der Wahrheit nicht weit entfernt ist, wenn man es recht bedenkt. Anstatt gegen den bösen Blick wirkten sie gegen den bösen Mund. Wenn einem der tanasac herausfiel, musste man sich die Hand vor den Mund halten wie eine kichernde Japanerin.
Es war nicht einfach, aber unser Gruppengehirn übernahm die Führung, und wir schafften es, in der Menge ein bisschen Platz zu gewinnen.
»Bitte lasst euch festlich bewirten, verschmäht unsere Kuchen nicht«,
sagte 14 mit der Stimme eines alten Rauchers, die trotzdem voller Schmelz war. Von seinem Gesicht konnte man nicht viel sehen, doch seine Augen wirkten humorvoll.
»Dank an deine Herren für die Unterbringung unserer Geblüte«,
erwiderte 12-Kaiman in den ehrerbietigen Wortformen. Hun Xoc entrollte eine Geschenkmatte, und 12-Kaiman legte ein Bündel unserer besten Hochlandzigarren darauf.
Wir veranstalteten das gesamte kleine Begrüßungstamtam. 14-Verwundeter fasste sich an die Schulter und empfing mich respektvoll, aber nicht als Gleichrangigen, sondern mit einer etwas herablassenden Hallo-kleiner-Bruder-Begrüßung. Er hatte 12-Kaiman und zwei andere unserer Geblüte schon einmal zu Gast gehabt. Doch in Ix war er seit über zwanzig Jahren nicht mehr gewesen, und zum Glück hatten weder er noch ein anderer seines Haushalts Schakal jemals gesehen. Ich grüßte ihn als Übergeordneten. Das war nicht der Augenblick, um wegen der Hackordnung eingeschnappt zu sein. Inzwischen hatten uns die Träger eingeholt, die hinter uns zurückgeblieben waren, und liefen in den Kreis ein, wie sich ein Seil in einen Eimer kringelte. 14 sagte, er sei begierig, Chilis mit uns zu essen, und dass die Schwalbenschwänze beschlossen hätten, die Straßen früh zu sperren, sodass wir aufbrechen müssten. Richtig, dachte ich, was tun wir hier eigentlich die ganze Zeit? Rumhängen und Bonbons essen? Blödmann.
Wie ein zum Appell angetretener Zug Infanterie nahmen wir die Treffen-relativ-wichtiger-Fremder-Aufstellung ein. Es war im Grunde ein Halbkreis von Geblüten mit 12-Kaiman in der Mitte und drei Reihen Begleiter, die
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