2012 – Das Ende aller Zeiten
schlagen wie mit contergangeschädigten Armen. Dies war eine Zivilisation, die auf Federn basierte wie England auf Wolle. Und dennoch, dachte ich, hatten wir diesen Leuten zwei Schlittenladungen Federn gebracht. Allerdings hatten unsere Gefieder Farbtöne, die ihnen fehlten. Sie hatten jede Menge schwarze, weiße, graue, braune, gelbbraune, hellblaue, rosa und rote. Wir hatten die Farben von Wolken und Wald, purpur, magenta, dunkelblau, türkis und goldgrün.
Der Pöbel drängte sich um uns. Die meisten waren, wie ich fand, ma’ala’ ba’ob , Leute, die noch niedriger standen als die Sohlen unter ihren Füßen. So sehr ich versuchte, volksverbunden zu bleiben, Rassismus war hier eine Tugend.
Wir drängten weiter. Manchmal konnte ich durch die Reihen der Köpfe nichts weiter sehen als endlose Fischernetze, die an hohen gegabelten Stangen trockneten. Hun Xoc flüsterte mir zu, dass 14-Verwundeter hätte herauskommen sollen, um uns wenigstens auf der anderen Seite des Sees zu treffen. Sie hatten nur erfahren, wir würden vor vier Tagen kommen, und auch das nur von unseren Kurieren gehört – wir hatten keine Brieftauben, und es gab zwar auf der Straße von der Küste eine Art Feuersignalsystem, doch das wollten wir nicht benutzen –, aber sie hätten genügend Zeit gehabt, sich vorzubereiten.
»14 spielt die Rolle von 7-Ara«, sagte er. Er meinte im Grunde, »er tut vornehm«.
»Hmm«, schnalzte ich. Ich spähte ein Stück voraus. Da war eine Reihe flacher Bogengänge zu sehen, die die Straße von einem breiten weißen Damm trennte, der drei Kilometer weit über eine Mündung zum Hauptteil des Sees führte. Beim Näherkommen entpuppten sich diePiers als Schädelgestelle. Verdammt, dachte ich. Dagegen sehen wir aus wie Geizhälse. Das heißt, wir Maya. Zu Hause brachten wir nur ein paar Berühmtheiten und gelegentlich einen Bösewicht um. Hier dagegen schien es, als hätten sie jeden erschlagen, der auch nur komisch guckte, und hätten dann jeden einzelnen Kopf behalten, als wäre er eine große Sache. Die weit im Westen waren so verwest, dass man kaum noch sagen konnte, ob sie von Menschen stammten. Den Kerlen hier fehlt ’ne Tüte Anstand, dachte ich.
Mit Geschenken und Bestechungen bahnten wir uns den Weg bis auf den Damm. An der nächsten Halbinsel luden uns die Tagelöhner auf zwei Flöße, jedes mit vierzig Stakern, die uns in den Nordosten nach Tamoanatowacanac brachten, was »Seehafen von Teotihuacán« heißt. Wir fuhren an einer Insel vorbei, die ein einziges Salzwerk war, mit kurzhaarigen Sklaven, die Wasser aus dem See in mit Gegengewichten versehene Kräne schöpften, die wie Schadufs aussahen, und sie in Felder weißverkrusteter Wannen gossen. Ein Roter Ibis starrte mich an, als wüsste er mehr als ich. Thoth, dachte ich. Und welcher Gott bist du hier?
Das Ufer war mit einem grau-grünen Wall aus mehreren tausend gefällten Bäumen befestigt, alle mit den Ästen zum See hin gedreht, sodass Angreifer zuerst darüber hinwegsteigen müssten. In einer Lücke des Walls legten wir an, und mit so viel Würde wie möglich, was nicht viel ist, wenn man aus einem Boot aussteigt, betraten wir Babel.
(44)
Wissen Sie, wie es ist, wenn man eine Stadt wie Marrakesch oder Benares betritt, die auf Travel Channel überaus ansprechend aussieht – um sich dann sofort wieder nach Hause zu wünschen, wenn man da ist, weil Gestank und Schmutz überwältigend sind? Tamoanatowacanac war wie Benares ohne Bollywood-Musik. Soweit ich es von hier sehen konnte, mussten es achttausend Leute sein, die am Ufer durcheinanderliefen und versuchten, woanders hinzukommen. Ich ließ mich von meinen Trägern hochheben, damit ich über die Köpfe hinwegsehen konnte. Wir waren in einem offenen Kreis oder Pomerium von tausend Armlängen Breite zwischen dem Uferwall hinter uns und, nach Osten zu, einem hohen Pfahlwerk mit etlichen baufälligen Wachtürmen. Das Ganze hatte etwas Spontanes, vermittelte den Eindruck eines vormals anständigen Parks, der sich allmählich in ein Reaganville verwandelte, wo abgerissene Leute ihr Lager aufschlugen, in Zelten, in Jurten, unter Decken, unter gar nichts, unter einander. Speerschleuderer der Schwalbenschwanzsippe schoben sich in Zwanzigergruppen langsam durch den Pöbel und drohten allzu aufdringlichen Pilgern mit Palmfaserdreschflegeln. Ein Geblüt am Ende eines jeden Trupps trug einen Zehn-Meter-Pfahl mit einem großen runden Federschild daran, etwa fünf Arme unter der Spitze. Jeder Schild
Weitere Kostenlose Bücher