2012 – Das Ende aller Zeiten
StrategyNet. Damit soll beschrieben werden, wie jedes Spiel seine eigene Art von alternativer Zeit erzeugt. Wie zum Beispiel ein rundenbasiertes Strategiespiel eine andere Zeitmessung benutzt, die mit der Zeit auf der Wanduhr nichts mehr zu tun hat, oder mit der Spieldauer, sondern nur mit den Ereignissen des Spieles. Richtig?«
»Richtig.«
»Im Prinzip wird ein Spiel in Tempi gemessen. In Zügen also. Wenn ein Spieler also einen Zug macht, der nichts erbringt, hat er ein Tempo verloren. Die Uhrzeit ist nur eine Annehmlichkeit, die aber nichts mit der Dynamik des Spieles zu tun hat.«
Sie nickte.
»Und wenn Ihr Zug nicht mit dem Rahmen des Spieles Schritt hält – wenn Ihr Sprung nicht weit genug geht oder Sie Ihre Steine nicht schnell genug entwickeln –, ist er noch immer zu langsam.«
Sie nickte.
»Spielzeit ist also im Grunde Zeit, die in Statusänderungen gemessen wird, ohne dass man ihre Dauer berücksichtigt.«
Sie nickte.
»Es erklärt außerdem, wieso alles um Sie herum langsamer zu vergehen scheint, während Sie ein Spiel spielen.«
Sie nickte.
Diesmal hielt ich den Mund.
»Sie lesen einfach voraus, nicht wahr?« Beim Go bedeutet das, die nächste Abfolge von Zügen auszuarbeiten. Professionelle Go-Spieler können hundert Züge vorauslesen.
»Richtig«, sagte ich. »Genau.« Jawohl! , dachte ich. Eine Gemeinsamkeit! Das Spiel! Die Bruderschaft der Spieler! Jetzt wirst du mir natürlich den verdammten Codex zeigen wollen. Richtig? Richtig.
Die Sache ist die, dass diejenigen von uns, die ernsthafte Spiele spielen – und mit ernsthaft meine ich, was Mathematiker ein nicht-triviales Spiel nennen, also Go, Schach, Sh¯ogi, Bridge, Poker, das Opferspiel oder eines der wenigen ernsthaften Computerspiele wie die Sim-Serie –, wissen oder zu wissen glauben, dass es eine andere, sinnvollere Welt gibt, eine, die auf einen stärkeren Kanal eingestellt ist. Doch dieses Wissen macht uns zu Außenseitern. Und selbstverständlich fühlen wir uns dadurch allen anderen Menschen überlegen – und das, obwohl alle anderen irgendwie gesünder, glücklicher und sozioökonomisch erfolgreicher sind –, sodass es mit uns nicht auszuhalten ist.
»Trotzdem«, sagte Ms Park, »genügt Vorauslesen, um einige wirklich gute Investitionen zu tätigen.«
»Kann schon sein.«
»Ich habe gehört, Sie haben ein paar gute Geschäfte gemacht.«
»Darf ich fragen, von wem?«
»Der Firma «, sagte sie, indem sie dem Wort einen unheilvoll Grisham’schen Beiklang verlieh.
»Hmm.«
»Keine Sorge.«
»Okay.«
»Aber was ich fragen wollte … Sie haben nicht in von jetzt an einem Jahr Unheil drohen sehen?«
»Sie meinen das Datum von 4 Ahau? Das Ende des Kalenders?«
»Richtig. 21.12.12.«
»Nein, habe ich nicht«, sagte ich. »Jedenfalls noch nicht.«
»Das ist wohl ganz gut.«
Ich bekam das Gefühl, dass unser Gespräch dem Ende entgegenging, als hörte ich, wie eine Flasche volllief. Na los, Jed. Wie machst du dich dieser Frau absolut unentbehrlich? Lass dir was Überzeugendes einfallen, etwas Spektakuläres, ihre Fassade Zerschmetterndes … nein, versuch‘s erst gar nicht. Frag sie einfach was.
»Ich hätte da eine Frage«, sagte ich.
»Nur zu.«
»Warum finanziert eine Unterhaltungsfirma Taros Forschung? Ich meine, was er macht, ist nicht gerade Unterhaltung.«
»Heutzutage ist alles Unterhaltung«, erwiderte sie.
»Richtig.« Zeig mir nur den Codex, dachte ich. Zeig mir dieses Buch. Zeig – mir – Buch. Buch – ich.
»Jedenfalls hat sich Lindsay immer gut darauf verstanden, Unterhaltung als Hebel für irgendetwas anderes einzusetzen. Sie wissen schon, das Studio hat die Neufassung von Lautlos im Weltraum deshalb gedreht, weil er Botania gekauft hatte – eine Hydroponikfirma, die auf geschlossene Systeme spezialisiert ist.«
»Verstehe.«
»Und er hat beides verknüpft.«
»Mmm.« Toll, dachte ich. Überlebenskram. Noch mehr mormonischer Schnickschnack. Vorräte für die Drangsal. Man will Jesus ja auch nicht auf nüchternem Magen begegnen.
»Das hat dem Survivalismus richtig Beine gemacht«, sagte sie. Offenbar sah sie mir an, was ich dachte. Verdammt, dachte ich. Ich hasse Gedankenleser.
»Richtig«, sagte ich. »Na ja, ich bin in Utah aufgewachsen …«
»Ach ja …«
»… deshalb kenne ich das ein wenig.«
»Richtig.«
»Genau.«
»Ich meine, es stimmt schon, Lindsay ist ein hochrangiger Heiliger der Letzten Tage und alles. Er ist gerade unter die Siebzig gewählt
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