2012 – Das Ende aller Zeiten
– «
»Okay, ich hab‘s verstanden.«
»Gut. Und das ist es auch schon, nur dass es für die Venus und andere astronomische Objekte andere Zählungen gibt, ebenso für Jahrestage und übernatürliche Wesen; zum Beispiel hat jeder Tag unterschiedliche Beschützer und Bedroher. Es ist ähnlich, wie jeder katholische Heilige seinen Tag hat, nur …«
»Nur ist es viel komplizierter.«
»Nun ja … nur dass man heutzutage so etwas gar nicht kennt, richtig? Olympiade und Präsidentschaftswahl gibt es alle vier Jahre, und die Wahlen zum Senat alle sechs, aber sie sind gestaffelt, und dazu kommen Wirtschaftszyklen und Fünfjahrespläne, dazu gibt es einen Siebzehnjahreszyklus bei Heuschreckenplagen und die hundertfünfzig Jahre, die ein Bambus nicht blüht, und, äh, alle fünfzehneinhalb Jahre hat John Travolta ein großes Comeback …«
»Okay, ich verstehe, was Sie meinen.«
»Jedenfalls brauchen Sie außer dem Sonnenzyklus, das sind dreihundertsechzig Tage, und dem Tzolkin nichts zu kennen. Der Tzolkin wird in lauter Zwanziger- und Dreizehnergruppen gemessen, die dann die B’ak’tun ergeben. Sie dauern etwa zweihundertsechsundfünfzig Jahre. Der Tzolkin legt den Zyklussitz fest und die wichtigste …«
»Was ist ein Zyklussitz?«
»Oh, das ist … so etwas wie eine vorübergehende Hauptstadt. Die Maya handelten das aus, sie einigten sich auf irgendeine Stadt oder auch einen Tempelbezirk, und das sollte dann der Ort sein, wo sich die Könige trafen, um die internationale Politik zu beschließen und wann die Feste abgehalten würden und so weiter. Nach zwanzig Jahren wurde dieser Tempelbezirk dann rituell getötet. Man löschte die Inschriften aus, und die königliche Familie zog fort, die Monumente wurden umgestürzt und so weiter. Und danach war das Gebiet sozusagen tabu, und in den nächsten zwanzig Jahren lag die Hauptstadt woanders.«
»Das ist also der Grund, weshalb die Maya die vielen Städte hinterließen?«
»Na ja, ja, es ist möglicherweise ein Grund, dass einige Zeremonienzentren aufgegeben wurden, aber – «
»Schon gut«, sagte sie. »Ich habe gehört, Sie benutzen ein Opferspielsystem, um mit Aktien zu spekulieren.«
»Warenterminen.«
»Gut. Und Sie tun es von Hand?« Sie meinte, nicht auf einem Computer.
»Ich habe Taros alte Software noch immer«, antwortete ich, »aber es stimmt schon, vor allem von Hand.«
»Haben Sie auch so einen Beutel mit kleinen Steinen oder so was?«
»Eine grandeza «, sagte ich. »Ja.«
»Haben Sie ihn bei sich?«
»Äh … ja.«
Sie bat mich nicht, ihr die Steine zu zeigen. Vielleicht war ihr das zu eingeborenenhaft.
»Aber Ihnen ist klar«, fuhr ich fort, »dass ich kein Astrologe bin oder so etwas. Mit übernatürlichen Dingen hat es nichts zu tun.« He, dachte ich, wie wär’s: Du zeigst mir deinen Codex, und ich zeige dir meine … Steine?
»Trotzdem erlaubt Ihnen das Spiel, Dinge vorherzusagen?«
»Vorhersage klingt mir zu sehr nach Wahrsager.«
»Hm.« Sie schwieg. Sei nicht so ehrlich, Jed, dachte ich. Wenn sie dich nicht für jemanden Besonderes hält, wird sie dir gar nichts zeigen. Andererseits kann man natürlich auch auf die sanfte Tour verkaufen. Außerdem versuchst du ja nicht, sie zu einem Rendezvous zu überreden, auch wenn sie ziemlich heiß ist. Aber im Augenblick willst du von ihr nur den Codex sehen. Richtig?
»Also«, sagte Ms Park, »behaupten Sie, dass die alten Maya gar keine richtigen Vorhersagen gemacht haben?«
»Sie hätten es jedenfalls nicht als Wahrsagerei betrachtet. Es ist ähnlich wie mit einem Bauernkalender, in dem steht, dass es an dem oder dem Tag schneien wird, nur dass bei den Maya zu lesen ist, dass eine Krankheit ausbricht oder ein Krieg oder so etwas. Und wenn esan einem bestimmten Tag eine große Schlacht gab, hätte dieser Tag für immer einen Geschmack von Gewalt an sich. Genauso wie der Tag, an dem der König heiratet, ein Glückstag ist. Das gilt ja sogar heute noch.«
»Stimmt.«
»Aber eigentlich möchte ich darauf hinaus, dass das Spiel Ihnen keine Visionen der Zukunft liefert. Es unterstützt Sie nur beim Raten.«
»Und wie?«
»Nun, vereinfacht ausgedrückt würde ich sagen, dass es irgendwie das Denken beschleunigt. Oder es ermöglicht dem Gehirn, sich besser zu konzentrieren, und das kommt einem dann genau gleich vor. Es verschafft einem Spielzeit. So wie …«
»Moment, was meinen Sie mit Spielzeit? So wie im Kindergarten?«
»Nein, eigentlich ist das nur Jargon aus dem
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