2012 - Die Prophezeiung - Alten, S: 2012 - Die Prophezeiung - Phobos
zertrümmert wird.
Dominique kommt wieder zu Bewusstsein. Ihr Fleisch ist so heiß, dass es zu kochen scheint. Sie bewegt sich unglaublich schnell auf einer Rolltrage durch den Empfangsbereich der Klinik, doch irgendwie ist das gar keine Rolltrage. Bevor sie begreift, wer sie trägt, ist sie schon im Freien und blickt in den verschwommenen Nachthimmel hinauf.
Dann verschwindet der Himmel, und sie erkennt das Heck eines Lieferwagens. Micks Stimme hallt durch ihr Gehirn. Das Echo der Töne formt sich langsam zu Worten, die von einer Schmerzexplosion in ihrem Gesicht begleitet werden.
»… man hat ihm etwas gespritzt, Dom. Du musst den Lieferwagen fahren. Dominique!«
»Okay.« Sie klettert hinter das Lenkrad und fährt von der Klinik weg, während sie sich mit dem Ärmel ihrer Bluse das Blut und die Tränen aus dem geschwollenen Gesicht wischt.
33
»Wir werden mit der Schizophrenie von Gut und Böse
in uns geboren, so dass Selbsterkenntnis und Selbst-
kontrolle von jeder Generation beharrlich weitergeführt
werden müssen. Dadurch, dass wir der automatischen
Beruhigung durch unsere Logik nachgeben, haben
wir aufs Neue jene Kräfte der Erkenntnis und der
Kontrolle aufgegeben. Die Dunkelheit scheint sich
kaum vom Licht zu unterscheiden, denn das Gewebe
von Struktur und Logik zieht sich dick über beide.
Deshalb müssen wir diese falschen Schutzschichten
wegschneiden, wenn wir die Kontrolle über unseren
gesunden Menschenverstand und unsere Moralität
wiedererlangen wollen.«
JOHN RALSTON SAUL, Voltaire’s Bastards , 1992
I ch bin groß. Mein Ort ist höher als Menschenwerk, als Menschengestalt. Ich bin die Sonne und der Mond, ich bin das Licht, und ich bin auch die Monate. Ich bin Fußweg und Trittstufe für die Menschen … ich bin der Bezwinger.«
Sieben Ara tanzt vor Chilam Balam und seinen Anhängern im Schatten des großen Tempels. Seine roten Augen ähneln denen einer Schlange, seine spitzen Zähne sind blau gefärbt. Jeder Zentimeter seiner Haut ist tätowiert, seine Finger enden in scharfen, klauenartigen Nägeln.
Schwer steigt der Geruch des Burundanga-Pulvers in Chilam Balams Nase. Er spürt, wie das Gift in seinen Blutkreislauf eindringt und wie eine eisige Welle seine Muskeln erstarren lässt. Sein Entsetzen verwandelt sich in Panik, als er nicht mehr atmen kann. Pfeifend strömt die Luft aus seinem Mund wie bei einem Tier, das von einem Pfeil getroffen zusammenbricht.
Ich bin Chilam Balam, der euch durch das eisige Ödland geführt hat, fort von der Küste, die der Tod einst schwarz färbte. Ich bin der Jaguar-Prophet, der euch in dieses fruchtbare Land geleitet hat. Will mir denn keiner von euch helfen?
Ein warmes Licht, dessen Glanz Trost ausstrahlt, erscheint über seinem Kopf. Die Stimme Viracochas spricht zu ihm aus der Leere. Du hast ihnen alles gegeben, und doch war es nicht genug. Gier hat sie auf die dunkle Seite gelockt, wo das Chaos regiert. Dabei hätten sie alles haben können – Glück und die ewige Erfüllung, die über alle Reichtümer hinausgeht.
Wie, Herr? Wie hätten sie alles haben können?
Einfach dadurch, dass sie die wahre Prüfung der Existenz begriffen hätten – dass wir geschaffen wurden, um einander zu lieben, und dass wir unsere eigene Erfüllung finden, wenn wir andere mit Würde behandeln.
Und was ist mit Sieben Ara?
Das Böse ist eine notwendige Prüfung, die zeigt, ob dein Volk die Gabe der Unsterblichkeit verdient hat. Diese Generation
ist der Gabe nicht wert. Die Menschen sind voller Selbstsucht und von persönlichen Wünschen erfüllt, und so wurde die Saat des Bösen an ihre Kinder weitergegeben. Ihre Hände sind befleckt vom Blut ihrer Feinde, ihre Altäre sind von Menschenopfern besudelt. Glaubst du, das wäre, wonach es den Schöpfer verlangt? Glaubst du, der Heilige hätte den Menschen geschaffen, um zuzusehen, wie seine Kinder sich gegenseitig vernichten, um in Hass und Intoleranz eine krankhafte Bestätigung ihrer selbst zu finden? Gebete sind nichts als eine Last, wenn die versammelten Menschen die Blumen im Garten des Schöpfers niedertrampeln. Doch Gerechtigkeit wäscht die Seele rein, wenn die Unterdrückten Hilfe finden, die Mächtigen in ihre Schranken verwiesen werden und die Vaterlosen Fürsorge erfahren.
Chilam Balams Herz verstummt. Nichts regt sich in der Luft bis auf die Klinge Sieben Aras, die ihm den Kopf vom Hals abtrennt. Sein Körper sinkt dahin, doch warmes Licht fängt seine Seele auf und hüllt sie
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