2012 - Die Prophezeiung - Alten, S: 2012 - Die Prophezeiung - Phobos
Tag wird anbrechen im Norden, im Westen. Die Bärtigen werden Blutvergießen und Tod über die Söhne der Itza bringen, sie werden ihr Tongeschirr zu Staub zerschmettern. Ich bin Chilam Balam, der Jaguar-Priester, ich sage die göttliche Wahrheit. «
Die Mitglieder des Rates drängen sich um Napuctun.
Ein paar Minuten später wendet sich Balams Erzrivale an den Propheten. »Versammle die Söhne der Itza, wie der große Lehrer geboten hat.«
Der Jaguar-Priester verbeugt sich. »Napuctun ist weise. So soll es geschehen.«
Die Abenddämmerung senkt sich über Chichén Itzá und die vielen Tausend Männer, Frauen und Kinder auf der großen Promenade. Entsprechend ihrem Rang ziehen sie nacheinander in mehreren langen Reihen an Hunderten von irdenen Krügen vorbei, die mit blauer Farbe gefüllt sind. Die leuchtenden türkisfarbenen Pigmente
bestehen aus einer Mischung von Indigo und Palygorskit, die auf hohe Temperaturen erhitzt worden sind. Die Farbe, auch Maya-Blau genannt, entspricht dem intensiven Farbton der Augen des großen Lehrers.
Die blau bemalten Indianer folgen der sache durch den dichten Dschungel in Richtung Norden. Fackelträger beleuchten den Weg und führen die Menge zur heiligen Cenote; sie ist eine der vielen Tausend Süßwasser-Sickergruben, die vor 65 Millionen Jahren entstanden, als ein Asteroid im flachen Urmeer einschlug, das später zur Nordspitze Yukatans werden sollte.
Der Mond ist rot wie eine Blutorange, und sein Licht bescheint die verschiedenen geologischen Schichten innerhalb der gelblich-weißen Kalksteingrube. Pflanzenwuchs hat das klare Wasser der Cenote grün wie Erbsensuppe gefärbt. Vier Jahrhunderte zuvor hatten die Maya, verzweifelt über das Verschwinden Kukulkans und in direktem Widerspruch zu den Geboten des großen Lehrers, angefangen, Menschen zu opfern, weil sie hofften, so die Rückkehr des hellhäutigen Propheten erzwingen zu können. Tausende Männer, Frauen und Kinder waren auf dem Gipfel der Pyramide getötet worden. Eifernde Priester hatten ihnen das Herz aus der Brust gerissen und die leblosen Körper die Treppenstufen hinabgetreten.
Die Cenote war der Opferung von Jungfrauen vorbehalten gewesen.
Diese jungen Mädchen wurden zur Reinigung in ein steinernes Dampfbad gebracht und dann von Priestern auf die Plattform des Daches geführt. Dort wurden sie entkleidet und von den Händlern des Todes auf einen steinernen Altar gelegt. Daraufhin wurde ihnen mit
einer Obsidianklinge das Herz aus dem Leib geschnitten oder die Kehle aufgeschlitzt. Die mit Juwelen überhäufte Leiche der Jungfrau wurde unter feierlichen Beschwörungen in den heiligen Brunnen geworfen.
Nur auf das Drängen des Jaguar-Priesters hin waren diese Rituale schließlich eingestellt worden.
Auf der kreisförmigen Lichtung, die die heilige Cenote umgibt, steht Chilam Balam auf dem Dach des Badehauses und sieht auf das Meer blauer Menschen hinab. Die Menge bedeckt jeden Quadratzentimeter des Dschungelbodens, so weit das Auge reicht.
Und sie murrt unwillig.
»Wie kann der große Lehrer verlangen, dass wir unsere Heimat verlassen, um uns in die Unterwelt zu begeben? «
»Warum sollten wir auf jemanden hören, der unser Volk vor mehr als zwanzig Katuns verlassen hat?«
»Was ist, wenn sich Chilam Balam irrt? Was ist, wenn uns die Bärtigen Wohlstand bringen?«
Zusammen mit Napuctun drängen sich die Mitglieder des Rates um den äußeren Rand der Grube. Der konkurrierende Prophet macht eine Geste in Richtung des Jaguar-Priesters.
Chilam Balam sieht zum Himmel. Der dunkle Spalt der Milchstraße zieht sich von Norden nach Süden über das Firmament; er reicht bis zum Horizont.
Die Mitternacht geht vorüber. Nichts geschieht.
Ein Stein fliegt an Chilam Balams Ohr vorbei. Ein zweiter streift sein Bein.
Die treuen Anhänger des Propheten umringen ihn und bilden einen Schutzwall. Seine Seelengefährtin Blutfrau tritt an seine Seite.
Am gegenüberliegenden Rand der Cenote hebt Napuctun die Hand und bringt die Menge zum Schweigen. »Die Itza haben sich versammelt, Chilam Balam. Mitternacht ist gekommen und wieder gegangen. Warum hast du uns in die Irre geführt?«
»Stellt Napuctun unseren großen Lehrer infrage?«
»Dich stelle ich infrage! Beweise uns, dass du es wert bist, mit Kukulkan in Verbindung zu treten. Werft den Häretiker und seine Anhänger in die Cenote!«
Die auf der sache versammelte Menge strömt nach vorn und drängt Balams Getreue über den Rand der Grube. Schreie zerreißen
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