2012 - Die Prophezeiung - Alten, S: 2012 - Die Prophezeiung - Phobos
seine Wut ein wenig gemildert zu haben. Andererseits könnte es natürlich sein, dass ihn das nur vorübergehend ablenkt.«
»Oder er hängt lieber mit einem Fremden rum, als sich mit seinem Vater über die einsame Pampa und durch die Urwälder der Maya zu schleppen.«
»Alles, was ich tue, dient einem bestimmten Zweck. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst.«
»Aber ich verstehe es doch! Als Linguistikprofessor, der sich auf uralte Sprachen spezialisiert hat, hat uns unser Vater ganz schön auf Trab gehalten: Hongkong, Moskau, Mumbai, Schottland, Kenia – egal, welches Land du wählst, die Chancen stehen gut, dass wir eine Zeit lang dort gelebt haben. Weil Evelyn die Älteste war, hat sie nicht mehr allzu viel davon mitbekommen. Maria war im Internat und ging dann nach Cambridge. Aber ich? Ich war sieben Jahre alt, als unsere Eltern unser Haus verkauft haben und von da an ständig unterwegs waren. Weißt du, wie schwierig es ist, Freundschaften zu schließen, ganz zu schweigen davon, irgendeine Art von gemeinschaftlichem Leben zu genießen, wenn deine Eltern dich alle vier Monate wieder entwurzeln? Aus Wut fing ich an, meinen Vater bei seinem
Vornamen zu nennen, genau wie Mick das dir gegenüber tut; dabei geht es ihm noch viel schlechter als mir, denn ich erhielt wenigstens eine Art Privatunterricht von meiner Schwester. Die Schulen in Russland und China hatten wenigstens Sportmannschaften. Doch wer spielt auf dem Nazca-Plateau schon American Football oder Baseball? Außerirdische?«
Julius wirft ihr einen strengen Blick zu.
»Okay, okay. Die Moralpredigt ist vorbei. Ich weiß, dass Michael etwas Besonderes ist und dass du davon überzeugt bist, dass eine höhere Berufung auf ihn wartet. Auch Maria war schließlich davon überzeugt. Erzähl mir mehr über diesen Fremden, wenn du mich schon herfliegen lässt, damit ich ihn psychoanalysiere. Hat er inzwischen schon einen Namen?«
»Er kann sich immer noch nicht daran erinnern, wie er heißt. Michael nennt ihn Sam.«
»Warum Sam?«
»Das ist die Kurzform für Samson. Der Kerl ist gebaut wie der junge Arnold Schwarzenegger, nur dass er noch längere Haare hat – wie Samson in der Bibel. Ehrlich gesagt gefällt ihm der Name sogar; er meint, er fühle sich irgendwie vertraut an. Wirklich merkwürdig ist allerdings, wie er sich im Spiegel ansieht.«
»Was meinst du damit?«
»Seine Augen. Manchmal starrt er sich selbst stundenlang in die Augen, während er mit einem Handspiegel im Bett liegt. Es ist, als ob sich etwas Wichtiges verändert hätte.«
»Welche Farbe haben seine Augen?«
»Schwarz, genau wie die von Michael.« Julius verlässt den Highway und biegt nach Süden in Richtung
des Viertels Vista Allegre ab. Sie kommen an einer Reihe einstöckiger Häuser vorbei, von denen jedes kaum größer als zwei nebeneinanderstehende Wohnwägen ist. Darin leben Familien zu drei oder noch mehr Generationen, deren jüngste Mitglieder auf den Flachdächern unter einem sternenübersäten Himmel schlafen müssen, während die Hinterhöfe dem Vieh vorbehalten sind.
Auf der anderen Straßenseite gegenüber dem kleinen Haus der Gabriels befindet sich eine Getränkeabfüllfabrik. Ein gewaltiger Huarango-Baum nimmt fast den gesamten vorderen Rasen ein; mehrere Gruppen junger Bäume stehen auf den unbebauten Parzellen, die das Gebäude umgeben.
Mehrere Jahre zuvor hatte eine Forschungsgruppe der Cambridge University unter der Leitung von Julius und Maria Gabriel entdeckt, dass der Huarango-Baum ( Prosopis pallida ) einst eine Schlüsselstellung unter den Pflanzen im Nazca-Tal eingenommen hatte. Fünfzehnhundert Jahre zuvor hatten die hier ansässigen Indios im direkten Widerspruch zu den Lehren Viracochas die Region systematisch abgeholzt und die Bäume als Nahrung und Baumaterial verwendet, um auf den gerodeten Flächen Mais und andere Kulturpflanzen anzubauen. Aber ohne Bäume, die den Stickstoff banden, war das Erdreich nicht mehr stabil. Im Jahr 500 überflutete El Niño das Gebiet und spülte das Getreide weg. Unkraut eroberte die Böden, und kurz darauf brachen das Ökosystem und die gesamte Zivilisation zusammen.
Bevor sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb, hatte Maria Rosen Gabriel ein Projekt zur massiven Wiederaufforstung auf den Weg gebracht. In Erinnerung an sie
hatten die örtlichen Behörden das Haus und das dazugehörige Grundstück gestiftet.
Julius parkt den Jeep. Laura greift nach ihrem Seesack und folgt ihm ins Haus.
Das Innere ist ein einziger
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